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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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gegenüber auch niemals
negative Gefühle entwickelt; es hat mir immer gefallen, in Dans Nähe zu sein – meine Großmutter, obgleich eine liebende Großmutter, war unnahbar.
    »Owen«, sagte Dan eines Abends. »Hättest du was dagegen, wenn ich
deine Eltern ins Theater einlade? Vielleicht zur letzten Vorstellung – am
Weihnachtsabend?«
    »DA WERDEN SIE WAHRSCHEINLICH JEDE MENGE ZU TUN HABEN «,
meinte Owen.
    »Und wie wäre es mit einem anderen Termin?« fragte Dan. »Einer der
nächsten Abende – soll ich sie einladen? An welchem Abend ist mir egal.«
    »SIE GEHEN EIGENTLICH NIE INS THEATER«, entgegnete
Owen. »ICH WILL SIE NICHT BELEIDIGEN, DAN, ABER ICH
FÜRCHTE, MEINE ELTERN WÜRDEN SICH NUR LANGWEILEN.«
    »Aber es würde sie doch sicher freuen, dich zu sehen, Owen«, wandte Dan ein. »Meinst du nicht, es würde ihnen gefallen,
dich auf der Bühne zu sehen?«
    »DIE EINZIGEN GESCHICHTEN, DIE SIE MÖGEN, SIND
WAHRE«, erklärte Owen. »SIE SIND
ZIEMLICH REALISTISCH, MIT ERFUNDENEN GESCHICHTEN KÖNNEN SIE NICHTS ANFANGEN.
ALLES, WAS NICHT ECHT IST – DAS IST NICHTS FÜR SIE. UND ALLES, WAS MIT GEISTERN
ZU TUN HAT – DAMIT BRAUCHT MAN IHNEN GAR NICHT ERST ZU KOMMEN.«
    »Mit Geistern braucht man ihnen nicht zu kommen?« fragte Dan.
    » SO WAS INTERESSIERT SIE NICHT «, meinte
Owen. Doch während ich ihm zuhörte, wurde mir klar, daß ich einen völlig
anderen Eindruck von seinen Eltern hatte. Ich fand, Owens Eltern [291]  glaubten nur an erfundene Dinge; sie glaubten nur an Geister – hörten nur auf sie. » ALSO, ICH WILL DAMIT SAGEN, DAN «, erklärte Owen, » DASS ICH SIE LIEBER NICHT EINLADEN WÜRDE. WENN SIE VON SELBST KOMMEN, GUT; ABER DAS GLAUBE
ICH NICHT.«
    »Klar, Owen. Wie du meinst«, sagte Dan.
    Dan Needham hatte das gleiche Leiden wie meine Mutter: auch er
konnte seine Hände nicht von Owen lassen. Dan gehörte nicht zu den Menschen,
die anderen über das Haar streichen, auf den Hintern oder die Schulter klopfen.
Dan griff nach den Händen des anderen und knetete sie, manchmal so fest, daß
die Knochen knackten. Doch so wie er seine Zuneigung zu Owen ausdrückte, schien
sie sogar die zu mir zu übertreffen; Dan hatte den glücklichen Instinkt, bei
mir Abstand zu wahren – er war wie ein Vater zu mir,
übernahm jedoch diese Rolle nicht ganz und gar. Bei mir hielt er sich
körperlich immer etwas zurück, war jedoch viel unbefangener bei Owen, dessen
Vater ihn nie (zumindest nicht in meiner Gegenwart) anfaßte. Ich glaube, auch
Dan Needham wußte, daß Owen zu Hause niemals berührt wurde.
    Am Samstag abend ging der Vorhang viermal hoch, und beim vierten
Mal schickte Dan Owen allein auf die Bühne. Es war offensichtlich, daß die
Zuschauer Owen alleine wollten; Mr.   Fish war bereits zusammen mit Owen auf der
Bühne erschienen, und auch schon allein – es war klar, daß die Menge Owen sehen
wollte.
    Das Publikum erhob sich, um ihm seine Ovationen zu bringen. Die
rabenschwarze Kapuze war oben spitz und zu groß für seinen kleinen Kopf; sie
war nach einer Seite umgeklappt, was ihm ein gnomenhaftes Aussehen und eine
arrogante, koboldhafte Haltung verlieh. Als er die Kapuze zurückstreifte und
dem Publikum sein strahlendes Gesicht zeigte, wurde ein junges Mädchen in einer
der ersten Reihen ohnmächtig; sie war etwa so alt wie wir – vielleicht zwölf
oder dreizehn – und fiel wie ein Mehlsack in sich zusammen.
    [292]  »Es war ziemlich heiß, wo wir
gesessen haben«, sagte die Mutter des Mädchens, nachdem Dan sich vergewissert
hatte, daß sie wieder auf den Beinen war.
    »DAS BLÖDE DING !« meinte Owen hinter
der Bühne. Er hatte sich selbst geschminkt. Obwohl sein Gesicht während der
gesamten Vorstellung von der riesigen Kapuze verdeckt blieb, hatte er es mit
weißem Babypuder eingerieben und die ohnehin schon dunklen Ränder unter den
Augen mit einem Kajalstift nachgezogen. Er wollte, daß auch der winzigste
Blick, den das Publikum von ihm erhaschen konnte, wirklich gespenstisch war;
daß sich seine Erkältung verschlimmerte, verstärkte noch die Blässe, die er
anstrebte.
    Er hustete ziemlich regelmäßig, als Dan ihn nach Hause brachte. Der
letzte Sonntag vor Weihnachten – der Tag des Krippenspiels – war morgen.
    »Er klingt etwas kränker, als mir lieb ist«, meinte Dan zu mir, als
wir zurück in die Stadt fuhren. »Vielleicht muß ich den Geist der zukünftigen
Weihnacht selbst spielen. Oder vielleicht – wenn Owen zu krank ist – kannst du ja die Rolle übernehmen.«
    Doch

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