Owen Meany
AUCH, DASS ICH EIN VOLLES STIPENDIUM BEKOMMEN WERDE «,
entgegnete Owen.
»Aber ja, ganz sicher!« meinte meine Großmutter.
»ABER ICH HAB NICHT DIE RICHTIGEN KLEIDER«, fuhr
Owen fort. »DIE VIELEN BLAZER UND SCHLIPSE UND DIE FEINEN
HEMDEN UND DIE SCHUHE.«
»Meinst du, sowas gäbe es nicht in deiner Größe?« fragte ihn
Großmutter. »Unsinn! Man muß nur in die richtigen Geschäfte gehen.«
»ICH MEINE, MEINE ELTERN KÖNNEN SICH SOLCHE KLEIDER
NICHT LEISTEN «, sagte Owen.
Wir sahen gerade einen alten Film mit Alan Ladd im Vorabendprogramm.
Er hieß Appointment with Danger, und Owen fand es
lächerlich, daß alle Männer in Indiana Anzüge und Schlipse trugen.
»Die haben sie früher auch hier getragen«,
sagte meine Großmutter; doch wahrscheinlich trug man so etwas im Steinbruch der
Meanys nie.
Ehe Jack Webb den guten Polizisten in Dragnet mimte, war [374] er der Bösewicht in Appointment with Danger; unter anderem versuchte er
gerade, eine Nonne zu ermorden. Dabei lief es Owen kalt den Rücken runter.
Bei diesem Film lief es auch Großmutter kalt den Rücken runter, denn
sie erinnerte sich daran, daß sie ihn 1951 schon einmal im Idaho gesehen hatte – mit meiner Mutter.
»Der Nonne wird nichts geschehen, Owen«, beruhigte sie ihn.
»ES IST NICHT DIE VORSTELLUNG, DASS SIE ERMORDET WIRD, BEI DER ES
MIR KALT DEN RÜCKEN RUNTERLÄUFT« , erklärte Owen. »ES IST DER
GEDANKE AN NONNEN – GENERELL.«
»Ich weiß, was du meinst«, sagte meine Großmutter; auch sie hatte
ihre Vorbehalte gegen die Katholiken.
»WAS WÜRDEN DENN EIN PAAR ANZÜGE UND EIN PAAR BLAZER UND EIN PAAR
FEINE HOSEN UND HEMDEN UND SCHLIPSE UND SCHUHE KOSTEN – WIE TEUER KÄME DER
GANZE KLIMBIM?« wollte Owen wissen.
»Ich werde selbst mit dir einkaufen gehen«, sagte meine Großmutter.
»Laß es meine Sorge sein, was das alles kostet. Das braucht sonst niemand zu
wissen.«
»VIELLEICHT IST ES IN MEINER GRÖSSE JA NICHT SO TEUER« , meinte Owen.
Und so stimmte Owen Meany – auch ohne daß meine Mutter ihn drängte – zu, daß er ein »klassischer Kandidat« für die Gravesend Academy war. Die
Academy stimmte ebenfalls zu. Auch ohne die Empfehlung von Dan Needham hätten
sie Owen ein volles Stipendium gegeben; es war offensichtlich, daß er ein
Stipendium nötig hatte, und seine Noten an der Gravesend Junior High-School
waren durch die Bank hervorragend. Das Problem war, daß die Academy – obwohl
Dan Needham mich adoptiert hatte und ich daher den privilegierten Status eines
Lehrerkindes besaß – bei meiner Zulassung zögerte. Meine Schulleistungen waren
so mäßig, daß die Schulleitung Dan riet, mich die letzte Klasse der Gravesend
Junior High-School noch besuchen zu lassen; die [375] Academy
würde mich erst danach in ihre erste Klasse aufnehmen – dann, so sagte man Dan,
würde mir der Einstieg leichter fallen, da die Klasse eine Wiederholung für
mich wäre.
Ich hatte immer gewußt, daß ich ein schwacher Schüler war; es traf
also nicht so sehr mein Selbstbewußtsein, sondern mich schmerzte vor allem der
Gedanke, daß Owen mir dann voraus sein würde – wir wären nicht in der gleichen
Klasse und würden auch die Abschlußprüfung an der Academy nicht zusammen
machen. Und da war noch ein anderes, praktisches Problem: In meinem letzten
Schuljahr an der Academy würde Owen nicht mehr da sein und mir bei den
Hausaufgaben helfen. Das hatte er meiner Mutter versprochen: daß er mir immer
bei den Hausaufgaben helfen würde.
Und so verkündete Owen, ehe Großmutter ihn mitnehmen wollte, um die
Schulkleidung zu kaufen, daß auch er die letzte Klasse an der Gravesend High-School
absolvieren wolle. Er würde also bei mir bleiben; auch er würde erst im
darauffolgenden Jahr an die Academy gehen – er hätte ein Schuljahr überspringen
können, und dennoch wiederholte er freiwillig eine Klasse mit mir! Dan
überzeugte die Schulleitung, daß es auch Owen guttäte, eine Klasse zu
wiederholen und dann an der Academy ein Jahr älter zu sein als seine
Klassenkameraden – »weil er körperlich noch etwas unreif ist«, erklärte Dan.
Und beim Zulassungstest stimmte die Schulleitung Dan sofort zu – natürlich
wußten sie nicht, daß Owen, wenn er ein Jahr älter war, keineswegs auch
entsprechend größer sein würde.
Dan und meine Großmutter waren sehr gerührt, daß Owen sich mir
gegenüber so loyal verhielt; Hester fand sein Verhalten natürlich reichlich
»schwul«; ich freute mich natürlich riesig darüber und war ihm
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