Owen Meany
,
hätte er an diese Schule gemußt. Sie strahlte die trostlose, strenge Atmosphäre
einer Besserungsanstalt aus; der Tagesablauf in ihr wurde von den Geräuschen
der benachbarten Tankstelle untermalt – der Klingel, die die vor- und
wegfahrenden Fahrzeuge anzeigte, dem Zähler an der Zapfsäule und dem
Heidenspektakel, den die Mechaniker in den Gruben machten.
Doch über diesem unheiligen, ungelehrten und unpassenden Stück Erde
hielt die steinerne Maria Magdalena Wache; unter ihrem seltsamen Betontorbogen
wirkte sie manchmal, als würde sie sorgsam zu grillendes Fleisch über dem Feuer
drehen; manchmal sah sie auch aus wie ein Torhüter – im Tor.
Natürlich hätte kein Katholik einen Ball oder einen Puck oder etwas
anderes auf sie geschossen; hätte den katholischen Schülern der Sinn danach
gestanden, dann hätten die grimmigen, [381] wachsamen
Nonnen sie von diesem Gedanken rasch wieder abgebracht. Und obwohl die
katholische Kirche in Gravesend in einem anderen Teil der Stadt lag, so stand
doch die schäbige Schuhschachtel, in der die Nonnen und einige Lehrer der
Schule lebten, wie ein Wärterhaus in einer Ecke des Schulhofes – mit vollem
Blick auf Maria Magdalena. Wenn ein vorbeigehender Protestant versucht sein mochte,
angesichts der Statue eine winzige Geste der Respektlosigkeit anzudeuten, dann
entströmten die wachsamen Nonnen eilends ihrem Wächterhaus – und ihre schwarzen
Gewänder flatterten mit der trotzigen Aggressivität von Krähen.
Owen hatte Angst vor Nonnen.
»SIE SIND UNNATÜRLICH «, sagte er; doch
was, dachte ich, könnte unnatürlicher sein als das quietschende Falsetto der
Granitmaus oder seine alles beherrschende Persönlichkeit, die in so krassem
Gegensatz zu seiner winzigen Größe stand?
Jeden Herbst bescherten uns die Roßkastanien zwischen der Tan Lane
und der Garfield Street unzählige glatte, harte, dunkelbraune Geschosse;
zwangsläufig hatten Owen und ich, wenn wir an der Statue der Maria Magdalena
vorbeikamen, unsere Taschen voller Kastanien. Obwohl er sich vor Nonnen
fürchtete, konnte Owen der Zielscheibe, die die heilige Torhüterin bot, nicht
widerstehen. Ich warf zielsicherer, doch Owen schleuderte die Kastanien mit
wahrem Feuereifer. Wir hinterließen kaum Spuren auf dem bodenlangen Gewand der
Maria Magdalena, auf ihrem nichtssagenden Gesicht oder ihren offenen,
flehentlich ausgestreckten Händen. Dennoch attackierten uns die Nonnen mit
einer Wut, die sich nur mit religiösem Verfolgungsdrang erklären läßt; sie
verfolgten uns voller Hektik und schrien wie Fledermäuse, die vom Sonnenlicht
überrascht werden – Owen und ich hatten keine Mühe, ihnen zu entkommen.
»PINGUINE !« schrie Owen, während er
weglief; alle nannten die Nonnen »Pinguine«. Wir rannten die Cass Street
entlang bis zu den Eisenbahnschienen und auf denen weiter aus der Stadt [382] raus. Ehe wir den Maiden Hill erreichten oder den
Steinbruch, kamen wir an der Fort Rock Farm vorbei und warfen unsere restlichen
Kastanien nach den Rindern, die dort grasten; trotz ihrer bedrohlichen Größe
und ihrer blauen Lippen und Zungen jagten uns die Rinder nicht mit solcher
Begeisterung wie die Pinguine, die allerdings ihre Jagd immer schon vor der
Cass Street aufgaben.
Und jeden Frühling bescherte uns das Sumpfgebiet zwischen Tan Lane
und Garfield Street einen Teich voller Kaulquappen und Kröten. Wer wüßte nicht,
daß Jungen in einem bestimmten Alter grausam sind? Wir füllten eine Dose für
Tennisbälle mit Kaulquappen und gossen sie – im Schutz der Dunkelheit – über
die Füße von Maria Magdalena aus. Die Kaulquappen – die, die sich nicht in
aller Eile in Kröten verwandelten – vertrockneten dort und gingen ein. Wir
mordeten sogar Kröten und drapierten ihre verstümmelten Körper auf
unappetitliche Weise auf den himmelwärts gerichteten Handflächen der heiligen
Torhüterin und befleckten sie dabei mit dem Blut der Amphibien. Gott möge uns
vergeben! So roh waren wir nur während der kurzen Jahre, ehe uns die Gravesend
Academy vor uns selbst rettete.
Im Frühjahr 1957 rückte Owen dem hilflosen Leben im Sumpf und auch
Maria Magdalena mit besonderer Brutalität zu Leibe; kurz vor Ostern waren wir
im Idaho gewesen und hatten Die
zehn Gebote von Cecil B. DeMille über uns ergehen lassen – das Leben
Moses’, dargestellt von Charlton Heston, der im Verlauf des Films verschiedene
Kostümwechsel und radikale Frisurveränderungen hinter sich bringt.
»SCHON WIEDER SO EIN
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