Owen Meany
KRAFTSTROTZENDER MÄNNERFILM«, sagte
Owen; und in der Tat gab es neben dem kraftstrotzenden Charlton Heston
deutliche Anzeichen dafür, daß auch Yul Brynner, John Derek und Edward G. Robinson
vor Kraft strotzten.
Daß das Idaho diesen Film so kurz vor
Ostern zeigte, war für meine Großmutter ein Beispiel, wie geschmacklos die
Leute der Unterhaltungsbranche doch waren: daß wir den Exodus des [383] auserwählten Volkes so kurz vor dem Leidensweg
und der Auferstehung unseres Herrn ansehen sollten, war geradezu empörend – »DIESE GANZE HÄRTE DES ALTEN TESTAMENTS, WO WIR DOCH ÜBER JESUS NACHDENKEN SOLLTEN« , wie Owen es
formulierte. Besonders die Szene, in der sich das Rote Meer teilt, erzürnte
ihn.
»MAN KANN DOCH NICHT EIN WUNDER NEHMEN UND ES EINFACH
ZEIGEN«, entrüstete er sich. »EIN WUNDER
LÄSST SICH NICHT BEWEISEN – MAN MUSS ES GLAUBEN! WENN SICH DAS ROTE MEER
TATSÄCHLICH GETEILT HAT, DANN HAT DAS BESTIMMT NICHT SO AUSGESEHEN«, sagte
er. »MAN KANN SICH EINFACH NICHT VORSTELLEN, WIE ES
AUSGESEHEN HAT – NIEMAND KANN SICH DAS VORSTELLEN!«
Doch in seiner Wut lag keinerlei Logik. Wenn ihn Die zehn Gebote ärgerten, warum ließ er dann seinen Ärger an Maria
Magdalena und einem Haufen Kaulquappen und Kröten aus?
In den Jahren, ehe wir an die Gravesend Academy gingen, erhielten
wir unsere Bildung hauptsächlich durch das, was wir im Idaho und in Großmutters Fernseher sahen. Wer hat seine Bildung nicht auf diese
schludrige Weise erhalten? Kann man Owen einen Vorwurf aus seiner Reaktion auf Die zehn Gebote machen? Nahezu jede Reaktion wäre besser,
als das Gesehene tatsächlich zu glauben ! Doch wenn
ein so blödsinniger Film wie Die zehn Gebote Owen
dazu brachte, Kröten zu töten, indem er mit ihnen nach Maria Magdalena warf,
dann konnte ihn eine so fesselnde Darstellung, wie Bette Davis sie in einem
ihrer besten Filme bot, natürlich auch davon überzeugen, daß er ebenfalls einen
Gehirntumor hatte.
Der Film fängt damit an, daß Bette Davis todkrank ist und nichts
davon weiß. Ihr Arzt und ihr bester Freund wollen es ihr nicht sagen.
»SIE SOLLTEN ES IHR SOFORT SAGEN !« Owen
war besorgt. Den Arzt spielte George Brent.
[384] »Der hat doch sowieso nie etwas
Rechtes hinbekommen«, bemerkte Großmutter.
Humphrey Bogart spielte einen Stallknecht, der mit irischem Akzent
spricht. Es waran Weihnachten 1956, und wir sahen einen Film von 1939; es war
das erste Mal, daß Großmutter uns erlaubte, einen Spätfilm anzusehen – zumindest glaube ich, daß es ein Spätfilm war. Nach
einer bestimmten Uhrzeit – beziehungsweise immer dann, wenn Großmutter langsam
müde wurde – war für sie alles ein Spätfilm. Wir taten ihr leid, weil die
Eastmans nun schon zum zweiten Mal an Weihnachten in die Karibik geflogen
waren; Sawyer Depot war ein Genuß, der für mich langsam in die Vergangenheit
gedrängt wurde – für Owen wurde es immer mehr zu einem unerfüllbaren
Wunschtraum.
»Man sollte doch wirklich meinen, daß Humphrey Bogart den irischen
Akzent etwas besser lernen könnte«, beschwerte sich Großmutter.
Dan Needham meinte, er würde George Brent keine Rolle bei den
Gravesend Players anbieten; Owen fügte an, daß Mr. Fish einen überzeugenderen
Arzt für Bette Davis abgegeben hätte, doch Großmutter meinte, »Mr. Fish hätte
als Bette Davis’ Ehemann alle Hände voll zu tun gehabt« – der Arzt wird dann am
Ende auch ihr Mann.
» Jeder hätte als Mann von Bette Davis alle
Hände voll zu tun gehabt«, bemerkte Dan.
Owen hielt es für grausam, daß Bette Davis allein herausfinden
mußte, wie es um sie stand; doch dies war einer der Filme, die dem Zuschauer
den Umgang mit dem Tod näherbringen wollen. Man sieht, wie Bette Davis ihr
Schicksal mit Würde annimmt; sie zieht mit George Brent nach Vermont und widmet
sich ihrem Garten – und lebt fröhlich mit der Tatsache, daß, eines Tages, ganz
plötzlich, die Dunkelheit kommen wird.
»WIE TRAURIG!« fand Owen, »WIE SCHAFFT SIE ES NUR, NICHT DARAN ZU DENKEN?«
[385] Ronald Reagan spielte einen
geistlosen jungen Trunkenbold.
»Sie hätte ihn heiraten sollen«, sagte
Großmutter. »Sie stirbt, und sein Hirn ist schon tot.«
Owen meinte, die Symptome von Bette Davis’ todbringendem Krebs seien
ihm bekannt.
»Owen, du hast keinen Gehirntumor«, sagte ihm Dan Needham.
»Bette Davis hat auch keinen!« meinte Großmutter. »Aber Ronald
Reagan hat sicher einen.«
»Vielleicht auch George Brent«, fügte Dan hinzu.
»UND DIE
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