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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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den neuen Direktor dazu, Veränderungen
durchzuführen; auch ich habe das getan – als ich neu
hier war.«
    »WELCHE VERÄNDERUNGEN HABEN SIE DURCHGEFÜHRT?« wollte
Owen Meany wissen.
    »Das ist auch ein Grund, warum ich in Pension gehe«, meinte der alte
Thorny liebenswürdig. »Mein Gedächtnis ist hin.«
    Owen hielt Archibald Thorndike für einen trotteligen,
überschwenglichen Narren; doch alle, selbst ›Die Stimme‹, hielten ihn für einen
netten Kerl. » NETTE KERLE WIRD MAN AM SCHWERSTEN LOS «,
schrieb Owen für The Grave; doch selbst Mr.   Early war
so schlau, diesen Satz zu streichen.
    Dann wurde es Sommer; ›Die Stimme‹ ging zurück in den Steinbruch – ich glaube nicht, daß er drunten in den Gruben viel sagte –, und ich hatte
meinen ersten Ferienjob. Ich war Führer für das Aufnahmebüro der Gravesend
Academy; ich zeigte den zukünftigen Schülern und deren Eltern die Schule – es
war eine langweilige, aber keineswegs harte Arbeit. Ich hatte einen
Schlüsselbund mit allen Schlüsseln, die bisher größte Verantwortung in meinem
Leben und konnte mir selbst aussuchen, welche »typischen« [418]  Klassenzimmer ich zeigen würde, und welche
»typischen« Schlafräume. Wahllos führte ich die Räume von Waterhouse Hall vor,
in der vagen Hoffnung, Mr.   und Mrs.   Brinker-Smith bei ihrem Matratzenduett
aufzuscheuchen; doch die Zwillinge waren mittlerweile schon älter, und
möglicherweise »trieben« es die Brinker-Smiths jetzt nicht mehr mit dem
früheren Elan.
    Abends, am Strand von Hampton Beach, sah Owen müde aus; ich mußte
mich um zehn Uhr für meine erste Besuchertour im Aufnahmebüro melden, doch Owen
stieg jeden Morgen um sieben in den Abraumkübel. Seine Fingernägel waren
kaputt; seine Hände waren zerschnitten und geschwollen; seine Arme waren braun
und dünn und hart. Er redete nicht über Hester. Im Sommer 1959 hatten wir zum
ersten Mal Erfolg bei Mädchen; besser gesagt, Owen hatte den Erfolg, und er
stellte mir die Mädchen, mit denen er Bekanntschaft schloß, vor. Wir »trieben«
es nicht in jenem Sommer: zumindest ich nicht und – soweit ich wußte – ging
Owen niemals allein mit einem Mädchen aus.
    »ENTWEDER GEHEN WIR ZU VIERT ODER ÜBERHAUPT NICHT«, sagte
er einem verblüfften Mädchen nach dem anderen. »FRAG DEINE FREUNDIN ODER VERGISS ES.«
    Und wir hatten auch keine Angst mehr, an den Spielhöllen rings um
das Kasino vorbeizugehen; zwar lästerten die Halbstarken noch immer über Owen,
doch er hatte sich schnell den Ruf verschafft, daß mit ihm nicht gut Kirschen
essen war.
    »WILLST MICH WOHL ZUSAMMENSCHLAGEN?« sagte
er zu einem Typ. »MÖCHTEST WOHL IM GEFÄNGNIS LANDEN? DU BIST SO POTTHÄSSLICH – GLAUBST DU, ICH WERD MICH AN DEIN GESICHT NICHT MEHR ERINNERN KÖNNEN?« Dann
deutete er auf mich. »SIEHST DU DEN DA? BIST DU SO BESCHEUERT, DASS DU
NICHT MAL WEISST, WAS EIN ZEUGE IST? NUR ZU – HAU MIR EINE REIN!« Nur einer tat es – oder versuchte es zumindest. Es war wie einem Kampf zwischen einem Hund und
einem Waschbären zuzuschauen; der Hund hat die Arbeit, doch der Waschbär
gewinnt [419]  am Ende. Owen deckte sich nur; er
griff nach den gegnerischen Händen und Füßen, hatte es zuerst auf die Finger
abgesehen, gab sich dann aber auch damit zufrieden, dem anderen einen Schuh
auszuziehen und nach seinen Zehen zu schnappen. Er bekam ordentlich was ab,
kugelte sich jedoch zusammen wie ein Ball und bot seinem Gegner keine
Angriffsfläche. Er brach dem Halbstarken den kleinen Finger – verbog ihn so
kräftig, daß der Finger nach dem Kampf senkrecht zum Handrücken nach oben
stand. Er zog ihm einen Schuh aus und biß ihn in die Zehen; es gab eine Menge
Blut, doch der Kerl hatte Socken an – ich konnte die Verletzung nicht sehen,
nur, daß er Mühe beim Laufen hatte. Die beiden wurden von einem
Zuckerwatteverkäufer getrennt – der Halbstarke wurde kurz danach in Gewahrsam
genommen, weil er Obszönitäten herumgeschrien hatte, und später erfuhren wir,
daß er in eine Jugendstrafanstalt gesteckt wurde, weil er ein gestohlenes Auto
gefahren hatte. Wir sahen ihn niemals mehr am Strand, und es ging das Gerücht
um – am Strand und um das Kasino und die Spielhöllen – daß es gefährlich war,
sich mit Owen anzulegen; es wurde sogar behauptet, er hätte jemandem ein Ohr
abgebissen. Einen anderen Sommer hörte ich, daß er jemandem mit dem Stiel von
einem Speiseeis ein Auge ausgestochen hätte. Daß all diese Berichte nicht
unbedingt der Wahrheit

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