Owen Meany
Junge«, sagte er zu Owen. »Du bist ein Draufgänger. Aber laß
dir einen Rat geben. Deine Freunde beobachten dich nicht so genau wie deine
Feinde – und du hast Feinde. Du hast dir in weniger als zwei Jahren mehr Feinde
gemacht als ich in über zwanzig! Paß auf, daß du deinen Feinden keinen
Angriffspunkt bietest.«
Thorny wollte, daß Owen als Steuermann zum Ruderteam ging; Owen
hatte genau die richtige Größe für einen Steuermann, und schließlich war er am
Squamscott großgeworden. Doch Owen sagte, daß die Schulrudermannschaften seinem
Vater schon immer ein Dorn im Auge waren – »BLUT IST DICKER
ALS SCHULE, WISSEN SIE «, sagte er zum Direktor; und überdies war
der Fluß verschmutzt. Zu jener Zeit hatten wir noch keine Kläranlage; die
Textilfabrik, die ehemalige Schuhfabrik meines verstorbenen Großvaters und
viele Privathaushalte leiteten ihre Abwasser direkt in den Squamscott ein. Owen
sagte, er habe schon oft »Beetleskins« im Fluß treiben sehen. Bei dem Wort
Beetleskins lief es ihm noch immer kalt den Rücken runter.
Außerdem spielte er im Herbst lieber Football; natürlich war er
nicht in der Schulmannschaft – aber Footballspielen machte ihm [425] Spaß, selbst in der niedrigsten Klasse. Er war
schnell und aggressiv – auch wenn ihm, wegen des vielen Rauchens, schnell die
Puste wegblieb. Und im Frühling – während der anderen Rudersaison – spielte
Owen lieber Tennis; er war nicht sehr gut, er war erst Anfänger, doch meine
Großmutter kaufte ihm einen guten Schläger, und Owen schätzte vor allem das
Ordentliche an dieser Sportart. Die geraden weißen Linien, die richtige
Spannung des Netzes und seine korrekte Höhe, das genaue Punktezählen. Im Winter – weiß der Himmel, warum! – spielte er gern Basketball; absurderweise
vielleicht gerade deshalb, weil es ein Spiel für große Leute war. Er spielte
natürlich nicht regelmäßig – er hätte niemals in einer Mannschaft mitspielen
können –, aber er war ein begeisterter Spieler; er konnte recht gut springen,
bei seinem Sprungwurf kam er fast in Augenhöhe der anderen Spieler, und er war
ganz besessen von einem unmöglichen Trick bei diesem Spiel (»unmöglich« für
ihn): dem Dunking. Damals nannten wir es nicht »Dunking«; wir nannten es den
Ball »stopfen«, und das gelang uns nur selten – die meisten von uns waren
einfach nicht groß genug. Natürlich konnte Owen niemals so hoch springen, daß
er sich über dem Korb befand; den Ball in den Korb hineinzustopfen war eine Schnapsidee – absurderweise jedoch sein
erklärtes Ziel.
Er dribbelte mit dem Ball auf den Korb zu und sprang in dem Moment
hoch, wenn ein Mitspieler bereit war, ihn hochzuheben – er
sprang seinem Mitspieler direkt in die Arme, und der schleuderte ihn (gelegentlich) so hoch, daß er mit den Händen über den
Ring reichte. Ich war der einzige, der das mit ihm üben wollte; es war so
lächerlich, daß er sich derart darauf versteifte – für jemanden von seiner
Größe, sich zum Ziel zu setzen, in die Luft zu steigen und den Ball von oben in
den Korb zu stopfen… es war einfach eine Schnapsidee, und ich wurde der
unsinnigen, immer gleichen Choreographie bald überdrüssig.
»Warum machen wir das überhaupt?« fragte ich ihn dann. »In einem
richtigen Spiel würde es sowieso nicht klappen. [426] Wahrscheinlich darf man das gar nicht. Ich kann dich doch nicht zum Korb hochheben, ich bin ganz sicher, daß das nicht erlaubt
ist.«
Doch Owen erinnerte mich daran, daß es mir früher Spaß gemacht
hatte, ihn hochzuheben – damals, in der Sonntagsschule. Jetzt, wo es ihm
wichtig war, seinen Sprung genau so hinzukriegen, daß ich ihn möglichst hoch
emporheben konnte, warum tat ich ihm den Gefallen nicht einfach, ohne an ihm
herumzukritisieren?
»ICH HAB ES ERTRAGEN, DASS IHR MICH HOCHGEHOBEN HABT – ALL DIE JAHRE, WO ICH EUCH IMMER GEBETEN HAB, ES NICHT ZU TUN!« warf er mir vor.
»›All die Jahre‹«, wiederholte ich. »Es war nur in der
Sonntagsschule, und es waren nur ein paar Jahre – und
wir haben es auch nicht ständig gemacht.«
Doch es war jetzt wichtig für ihn – dieses verrückte Hochheben –,
und so übten wir es. Bald schon war es eine richtige, gut einstudierte Nummer;
»Dunking-Meany« begannen ihn einige der Jungen aus der Basketballmannschaft zu
nennen – Dunking-Champion riefen sie ihn, als er den Wurf perfekt beherrschte.
Selbst der Basketballtrainer war beeindruckt. »Vielleicht setz ich dich mal in
einem Spiel ein«,
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