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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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mich nie gewöhnen!) stellte mir die übliche Frage: »Wie kurz?«
    »So kurz wie die von Oliver North«, antwortete ich.
    »Wie bitte?« fragte sie nach. O Kanada! Doch ich bin sicher, auch in
den Vereinigten Staaten gibt es junge Frauen, die anderen Leuten die Haare
schneiden und nicht wissen, wer Lieutenant Colonel Oliver North ist; und in ein
paar Jahren wird sich so gut wie niemand mehr an ihn erinnern. Wer erinnert
sich schon noch an Melvin Laird? Wie viele von uns wissen noch, wer General
Creighton Abrams und General William Westmoreland waren, ganz davon zu schweigen,
wer von beiden die Nachfolge des anderen antrat? Und wer war der Nachfolger von
General Maxwell Taylor? Und wer der von General Curtis LeMay? Und wessen
Nachfolge trat Ellsworth Bunker an? Wer weiß das schon noch? Natürlich niemand
mehr!
    Draußen vor dem Friseursalon, auf der Kreuzung, herrschte ein
furchtbarer Lärm von Bauarbeiten, doch ich war sicher, daß mich meine Friseuse
verstanden hatte.
    »Oliver North«,
wiederholte ich, »Lieutenant Colonel Oliver North, United States Marine Corps.«
    [538]  »Sie wollen es sicher sehr
kurz«, meinte sie.
    »Ja, bitte«, gab ich zurück; ich muß einfach aufhören, die New York Times zu lesen! Es steht nichts darin, was es
wert wäre, sich später einmal daran zu erinnern. Warum fällt es mir dann nur so
schwer, es zu vergessen?
    Niemand hatte solch ein Gedächtnis wie Owen Meany. Bis zum Beginn
der Frühjahrsferien 1962 hat er ganz sicher kein einziges Mal das, was er zu
Dr.   Dolder gesagt hatte, und das, was er zu Rev. Lewis Merrill gesagt hatte,
durcheinandergebracht – aber ich bin ganz sicher, daß die beiden reichlich durcheinander waren! Als dieser Abschnitt des
Schuljahres vorbei war, dachten sie ganz bestimmt, entweder hätte er wirklich
von der Schule fliegen oder aber der neue Direktor werden müssen. Ehe für die
Gravesend Academy die Frühjahrsferien begannen, hatte das Wetter von New
Hampshire jeden hier fast zum Wahnsinn getrieben.
    Wer wird es nicht irgendwann leid, im Dunkeln aufzustehen? Und Owen
mußte sogar noch früher aufstehen als die meisten von uns; für das Stipendium,
das er bekam, mußte er ab und zu in der Mensa die Lehrkräfte bedienen und
deshalb mindestens eine Stunde vor Beginn des Frühstücks in der Küche sein,
wenn er Dienst hatte. Die Kellner mußten die Tische decken – und ihr eigenes
Frühstück in der Küche einnehmen – ehe die anderen Schüler und die Lehrer
kamen; dann mußten sie, zwischen dem offiziellen Ende der Frühstückszeit und
der Morgenversammlung – wie der neue Schulleiter die Morgenandacht erfolgreich
umbenannt hatte – die Tische wieder abräumen.
    An jenem Samstagmorgen im Februar sprang der tomatenrote
Kleintransporter nicht an, und er mußte mit dem Starthilfekabel am LKW der Meany Granite Company herumhantieren und ihn
schließlich den Maiden Hill hinunterrollen lassen, ehe er ansprang – so kalt
war es. Er war nicht gerade begeistert, wenn er am Wochenende Mensadienst
hatte; und da er nicht im Internat wohnte, mußte er an diesem Tag extra dafür
zur Schule fahren. Ich [539]  kann mir gut
vorstellen, daß er sauer war, als er an der Schule ankam; und dann stand bereits
ein Auto in der Wendeschleife vor dem Hauptgebäude, wo er sonst immer parkte.
Der LKW war so groß, daß er ihn, wenn nur
ein einziges Auto an dieser Stelle stand, in der Front Street abstellen mußte –, und im Winter durfte man in der Front Street nicht parken, weil sonst die
Schneepflüge nicht durchkamen, und darüber ärgerte sich Owen auch maßlos. Das
Auto, das Owen daran hinderte, seinen Lastwagen in der Wendeschleife vor dem
Hauptgebäude zu parken, war Dr.   Dolders VW -Käfer.
    Die für seine Landsleute typische liebenswerte Ordnungsmanie
manifestierte sich bei Dr.   Dolder auch im präzisen und genau vorhersagbaren
Umgang mit seinem Gefährt. Seine Junggesellenwohnung war in Quincy Hall – einem
Internatsgebäude am anderen Ende des Schulgeländes; es schien am Ende der Welt
zu liegen, war relativ weit vom Hauptgebäude entfernt, lag jedoch immer noch
auf dem Schulgelände. Dr.   Dolder parkte seinen Käfer nur dann vor dem
Hauptgebäude, wenn er getrunken hatte.
    Er war häufig bei Randy und Sam White zu Gast; er parkte sein Auto
vor dem Hauptgebäude, wenn er bei ihnen zum Abendessen eingeladen war – und
wenn er zuviel getrunken hatte, ließ er das Auto dort stehen und ging zu Fuß
nach Hause. Das Schulgelände war nicht so riesig, daß

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