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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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als der
Schulleiter, selbst ohne Kopf; verglichen mit Randy White war die enthauptete
Maria Magdalena etwas größer als lebensgroß – auch ohne Kopf hätte sie Direktor
White auf dem Podium überragt. Und Owen hatte die Statue nicht einmal auf ein
Podest gestellt. Er hatte sie am Boden der Bühne festgeschraubt. Und er hatte
sie mit den gleichen Stahlbändern gesichert, mit denen die Steinbrucharbeiter
die Granitbrocken auf dem Lastwagen befestigten; er hatte sie am Podium
festgebunden, im Boden verankert und somit recht deutlich gemacht, daß man sie
nicht so leicht wie Dr.   Dolders Käfer würde entfernen können.
    »Wahrscheinlich«, sagte Dan zum Hausmeister, »sind diese
Metallbänder ziemlich gut befestigt.«
    »Allerdings!« meinte der Hausmeister.
    »Wahrscheinlich gehen die Schrauben ganz durch das Podium [561]  durch und auch durch den
Bühnenboden«, sagte Dan, »und ich wette, er hat die Muttern ziemlich fest angezogen.«
    »Nee!« sagte der Hausmeister. »Er hat alles miteinander verschweißt .«
    »Das ist dann ja ziemlich fest«, erwiderte Dan Needham.
    »Allerdings«, stimmte der Hausmeister zu.
    Das hatte ich ganz vergessen: Owen hatte Schweißen gelernt – Mr.
Meany wollte, daß mindestens einer seiner Steinbrucharbeiter auch schweißen
konnte, und Owen, das Naturtalent, war derjenige, der es lernte.
    »Haben Sie schon dem Direktor Bescheid gesagt?« fragte Dan den
Hausmeister.
    »Nee!« gab der zurück. »Das werd ich auch nicht tun«, sagte er – » diesmal nicht.«
    »Wahrscheinlich würde es ihm auch nichts nützen, wenn er es wüßte«,
meinte Dan.
    »Das hab ich mir auch gedacht!« meinte der Hausmeister.
    Dan und ich gingen in die Mensa zum Frühstücken, wo man uns nicht
oft zu sehen bekam; doch wir hatten großen Hunger, nachdem wir die ganze Nacht
herumgefahren waren – und außerdem wollte ich möglichst vielen Freunden und
Bekannten Bescheid geben. »Sagt allen, sie sollen etwas früher zur Morgenversammlung
kommen«, sagte ich ihnen. Ich hörte, wie Dan Needham zu einigen seiner Freunde
unter den Lehrern sagte: »Und wenn Sie im ganzen Leben nie mehr zur
Morgenversammlung gehen, heute sollten Sie es unbedingt tun.«
    Dan und ich verließen gemeinsam die Mensa. Wir hatten keine Zeit,
zur Waterhouse Hall zurückzugehen und uns vor der Morgenversammlung noch unter
die Dusche zu stellen, obwohl wir das dringend nötig gehabt hätten. Wir machten
uns beide Sorgen um Owen und waren aufgeregt – weil wir nicht wußten, ob die
Zurschaustellung der verstümmelten Maria Magdalena nicht im nachhinein noch
eine Rechtfertigung für seinen Verweis von der [562]  Schule
lieferte; wir machten uns Sorgen, ob die Entweihung einer Heiligenstatue die
Colleges und Universitäten, die ihn ganz sicher aufgenommen hätten, nicht doch zögern lassen würde.
    »Ganz zu schweigen davon, was die katholische Kirche – ich meine,
St.   Michael’s – mit ihm machen wird«, sagte Dan. »Ich werd am besten mal ein
Wort mit dem Chef dort reden – wie heißt er doch gleich noch mal?«
    »Kennst du ihn denn?« fragte ich Dan.
    »Nein, eigentlich nicht«, gab Dan zurück. »Aber ich glaub, er ist
ein netter Mensch – Father O’Sowieso heißt er, glaub ich. Wenn ich mich nur an
seinen Namen erinnern könnte – O’Malley, O’Leary, O’Rourke, na ja, O’Sowieso eben.«
    »Pastor Merrill kennt ihn doch sicher«, meinte ich. Und deshalb
gingen wir vor der Morgenversammlung hinüber zur Hurd’s Church; manchmal betete
Rev. Lewis Merrill dort, ehe er zum Hauptgebäude ging; manchmal war er früh auf
den Beinen und wartete im Pfarrbüro, bis es Zeit war für die Morgenversammlung.
Dan und ich sahen den großen Lastwagen der Meany Granite Company hinter dem
Gebäude stehen. Owen saß im Pfarrbüro – auf Mr.   Merrills altem Stuhl,
schaukelte vor und zurück und schob sich auf den quietschenden Rollen hin und
her. Von Mr.   Merrill war nichts zu sehen.
    »ICH HAB HEUTE FRÜH EINEN TERMIN BEI PASTOR MERRILL«, erklärte uns Owen. »ER MÜSSTE EIGENTLICH SCHON HIER
SEIN.«
    Er sah ganz normal aus – ein bißchen müde, ein bißchen nervös,
vielleicht auch nur unruhig. Er konnte nicht stillsitzen und fingerte an den
Schreibtischschubladen herum, zog sie auf und schob sie wieder zu – er schien
nicht darauf zu achten, was in den Schubladen war, sondern spielte einfach nur
damit herum.
    »Du hast eine anstrengende Nacht hinter dir, Owen«, sagte Dan zu
ihm.
    »ZIEMLICH ANSTRENGEND«, sagte

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