Owen Meany
Owen
Meany.
»Wie geht’s dir?« fragte ich.
[563] »GUT«, gab
er zurück. »ICH HAB DAS GESETZ GEBROCHEN, ICH WURDE ERWISCHT,
UND JETZT WERDE ICH DAFÜR BEZAHLEN – SO IST DAS EBEN«, meinte er.
»Sie haben dich aufs Kreuz gelegt!« sagte ich.
»NA JA «, gab er zurück; er nickte – dann zuckte er mit den Schultern. » ES IST JA NICHT
SO, DASS ICH VÖLLIG UNSCHULDIG WÄRE «, fügte er hinzu.
»Das Wichtigste, woran du jetzt denken mußt, ist, ans College zu
kommen«, sagte Dan. »Das Wichtigste ist, daß du angenommen wirst und ein
Stipendium kriegst.«
»ES GIBT WICHTIGERE DINGE «, entgegnete
Owen Meany. Blitzschnell öffnete er, eine nach der anderen, die drei rechten
Schubladen von Rev. Mr. Merrills Schreibtisch; dann schloß er sie wieder,
ebenso schnell. In diesem Augenblick trat Mr. Merrill ins Pfarrbüro.
»Was machst du da?« fragte er Owen.
»NICHTS «, gab Owen Meany zurück. » ICH WARTE AUF SIE.«
»Ich meine, an meinem Schreibtisch – du sitzt an meinem
Schreibtisch«, sagte Mr. Merrill. Owen wirkte überrascht.
»ICH WAR ETWAS ZU FRÜH DA«, erklärte
er. »ICH HAB MICH EINFACH AUF IHREN STUHL GESETZT – ICH
HAB NICHTS GEMACHT .« Er stand
auf, trat vor Mr. Merrills Schreibtisch und setzte sich auf seinen normalen
Stuhl – jedenfalls vermute ich, daß es sein »normaler« Stuhl war; er erinnerte
mich an den »Sängerstuhl« in Graham McSwineys seltsamem Studio. Ich war
enttäuscht, daß ich nichts mehr von Mr. McSwiney gehört hatte; wahrscheinlich
hatte er nichts über Big Black Buster Freebody in Erfahrung gebracht.
»Tut mir leid, wenn ich etwas unwirsch war, Owen«, sagte Pastor
Merrill. »Ich weiß, wie dir zumute sein muß.«
»MIR GEHT’S GUT «, erwiderte Owen.
»Ich bin froh, daß du mich angerufen hast«, sagte Mr. Merrill zu
ihm.
[564] Owen zuckte mit den Schultern.
Ich hatte ihn noch nie spöttisch lächeln sehen, doch in diesem Moment kam es
mir vor, als lächele er Rev. Mr. Merrill spöttisch an. Mr. Merrill setzte sich
auf seinen quietschenden Bürostuhl. »Also, es tut mir aufrichtig leid, Owen – alles«, sagte er. Er hatte eine Art, einen Raum
zu betreten – ein Klassenzimmer, die Aula, Hurd’s Church, selbst sein eigenes
Pfarrbüro – als würde er sich bei jedem entschuldigen. Gleichzeitig bemühte er sich so aufrichtig, daß man ihn nicht
unterbrechen wollte. Man mochte ihn und wünschte ihm nur, daß er etwas gelassener wäre; dennoch fühlte man sich schuldig, weil
man ärgerlich auf ihn wurde, weil er sich so krampfhaft und erfolglos darum
bemühte, daß sich seine Zuhörer wohlfühlten.
Dan sagte: »Ich bin gekommen, um Sie nach dem Namen des Chefs von
St. Michael’s zu fragen – es ist doch der gleiche, für die Kirche und für die
Schule?«
»Das ist richtig«, sagte Mr. Merrill. »Er heißt Father Findley.«
»Dann kenn ich ihn nicht«, meinte Dan. »Ich dachte, er wäre ein
Father O’Sowieso.«
»Nicht O’Sowieso«, sagte Mr. Merrill. »Findley, Father Findley.«
Rev. Mr. Merrill wußte noch nicht, warum Dan den
Namen des katholischen »Chefs« wissen wollte. Owen hingegen wußte, was Dan
vorhatte.
»SIE BRAUCHEN NICHTS FÜR MICH ZU TUN, DAN«, sagte
er.
»Ich kann versuchen, dir das Gefängnis zu
ersparen«, sagte Dan. »Ich will, daß du ans College
gehst – mit einem Stipendium. Aber ich kann auf jeden Fall versuchen, dich
davor zu bewahren, daß du wegen Diebstahl und Vandalismus angeklagt wirst.«
»Was hast du getan, Owen?« fragte Rev. Lewis Merrill.
Owen senkte den Kopf; einen Augenblick lang dachte ich, er würde zu
weinen anfangen – doch dann schüttelte er diesen Augenblick ab. Er sah Rev.
Lewis Merrill direkt in die Augen.
»ICH MÖCHTE, DASS SIE EIN GEBET FÜR MICH SPRECHEN«, erklärte
Owen Meany.
[565] »Ein G-g-gebet – für dich ?« stotterte Pastor Merrill.
»NUR EIN PAAR WORTE – WENN ES NICHT ZUVIEL VERLANGT
IST«, MEINTE OWEN. »DAS IST DOCH IHR BERUF , ODER?«
Rev. Mr. Merrill dachte darüber nach. »Ja«, sagte er vorsichtig.
»Bei der Morgenversammlung?« wollte er wissen.
»HEUTE – VOR ALLEN ANDEREN «, gab Owen
Meany zurück.
»Ja, gut«, sagte Rev. Lewis Merrill; doch er sah aus, als würde er
jeden Moment in Panik ausbrechen.
Dan nahm mich beim Arm und schob mich zur Tür des Pfarrbüros.
»Wir lassen euch jetzt allein, wenn ihr noch reden wollt«, sagte er
zu Mr. Merrill und Owen.
»Wollten Sie sonst noch was von mir?« fragte Mr. Merrill
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