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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Dan.
    »Nein, nur den Namen – Father Findley«, entgegnete Dan.
    »Und wolltest du sonst noch was von mir – außer dem Gebet?« fragte
Mr.   Merrill Owen, der über diese Frage sorgfältig nachzudenken schien – oder
aber er wartete darauf, daß Dan und ich hinausgingen.
    Wir standen vor dem Pfarrbüro, in dem dunklen Korridor, wo sich zwei
Reihen von Holzhaken für Mäntel an der Wand entlangzogen; im Dunkeln hingen
mehrere verlorengegangene oder vergessene Mäntel herum wie alte Kirchgänger,
die noch so lange herumgestanden waren, bis sie, an die Wand gelehnt, einschliefen.
Und mehrere Paare alte Galoschen standen im Korridor; doch sie standen nicht
direkt unter den verlassenen Mänteln, so daß es schien, als wären die
Kirchgänger im Dunkeln von ihren Füßen getrennt worden. Am Holzhaken direkt
neben der Tür hing Pastor Merrills merkwürdig jugendlich wirkende
Matrosenjacke, und am nächsten Haken hing seine Seemannsmütze. Als Dan und ich
daran vorbeigingen, hörten wir Pastor Merrill sagen: »Owen? Ist es der Traum?
Hast du diesen Traum wieder gehabt?«
    » JA «, sagte Owen Meany und fing an zu
weinen – er begann zu schluchzen, wie ein Kind. So hatte ich ihn seit jenem
Thanksgiving [566]  nicht mehr gehört, als er in
die Hose gemacht hatte – als er auf Hester gepinkelt hatte.
    »Owen? Owen, hör mir zu«, sagte Mr.   Merrill. »Owen? Es ist nur ein Traum – hörst du mich? Es ist nur ein Traum!«
    »NEIN !« entgegnete Owen Meany.
    Dann waren Dan und ich draußen, in der grauen Februarkälte; die
alten Fußstapfen im zerfurchten Schneematsch waren gefroren – Abdrücke
zahlloser Seelen auf ihrem Weg zur Hurd’s Church und wieder nach Haus. Es war
noch immer früher Morgen; obwohl Dan und ich die Sonne hatten aufgehen sehen,
war sie nun von dem tiefen, gleichmäßig eisgrauen Himmel verschluckt.
    » Was für ein Traum?« fragte mich Dan
Needham.
    »Ich weiß es nicht«, gab ich zurück.
    Owen hatte mir nichts von dem Traum erzählt; noch nicht. Er erzählte
mir später davon – und dann sagte ich ihm das, was auch Rev. Lewis Merrill ihm
gesagt hatte: daß es »nur ein Traum« sei.
    Ich habe gelernt, daß die Folgen unserer vergangenen Handlungen
immer interessant sind; ich habe gelernt, die Gegenwart mit einem
vorausschauenden Auge zu betrachten. Damals jedoch noch nicht; in jenem
Augenblick reichte Dans und meine Vorstellungskraft nicht viel weiter in die
Zukunft als bis zu Randy Whites Reaktion auf die kopflose, armlose Maria
Magdalena – deren stählerne Umarmung des Podiums auf der Bühne der Aula den
Schulleiter dazu zwingen würde, den Schülern und Lehrern in einer neuen,
ungeschützteren Position entgegenzutreten.
    Direkt gegenüber dem Hauptgebäude zog der Direktor seinen
Kamelhaarmantel an; seine Frau Sam bürstete diesen schönen Mantel für ihn glatt
und gab ihrem Gatten einen Abschiedskuß. Es würde ein schlimmer Tag für den
Schulleiter werden – ein SCHICKSALHAFTER Tag, wie Owen
möglicherweise gesagt hätte –, doch ich bin sicher, daß Randy White seinen
Blick an jenem Morgen nicht auf die Zukunft gerichtet hatte. Er dachte, er sei
mit Owen Meany fertig. Er wußte nicht, daß Owen ihn am Ende [567]  besiegen würde; er wußte noch nichts von seiner
Niederlage bei der Vertrauensabstimmung der Lehrerkonferenz – auch nichts von
der Entscheidung des Schulverwaltungsrates, seinen Vertrag als Schulleiter
nicht mehr zu verlängern. Er hat sich sicherlich nicht vorgestellt, daß die
Abschlußfeier in jenem Jahr zu einer reinen Farce werden würde, weil Owen nicht
daran teilnahm – daß ein schüchterner, recht unscheinbarer Schüler, der als
Ersatz für Owen die Abschlußrede halten sollte, den Mut finden würde, als Rede
nur die folgenden Worte anzubieten: »Ich bin nicht der beste Schulabgänger. Der beste Schulabgänger ist Owen Meany; er ist ›Die
Stimme‹ unseres Jahrganges – die einzige Stimme, die wir hören wollen.« Und
dann setzte sich dieser gute, ängstliche Junge wieder hin – unter donnerndem
Applaus: Wir Schüler erhoben unsere Stimme und riefen nach der ›Stimme‹,
Bettlaken und andere, kunstvollere Transparente zeigten seinen Namen – natürlich in Großbuchstaben – und unser Geschrei erstickte die Versuche des
Direktors, uns zur Ordnung zu rufen.
    »OWEN MEANY! OWEN MEANY! OWEN MEANY!« skandierte die Abschlußklasse von 1962.
    Doch an jenem Februarmorgen, als sich der Schulleiter seinen
Kamelhaarmantel anzog, konnte er nicht wissen, daß Owen

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