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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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seine Pläne verkündete, schrieben
wir erst das Jahr 1962; 11   300 amerikanische Soldaten waren in Vietnam, doch
kein einziger im aktiven Einsatz.
    Dennoch war Dan bei Owens Entschluß nicht ganz wohl. »Der Vorschlag
von Harvard hätte mir besser gefallen«, meinte er.
    »ABER SO BRAUCH ICH KEIN JAHR ZU WARTEN«, entgegnete
Owen. »UND ICH KANN BEI DIR BLEIBEN – IST DAS NICHT TOLL?« meinte er zu mir.
    »Ja, das ist toll «, sagte ich. »Ich bin
nur etwas erstaunt, mehr nicht.«
    Ich war mehr als nur »etwas erstaunt« – daß die US -Army ihn angenommen hatte!
    »Gibt’s da keine Mindestanforderung bezüglich Größe?« flüsterte Dan
mir zu.
    »Ich dachte, es gäb auch eine bezüglich Gewicht«, erwiderte ich.
    »WENN IHR’S GENAU WISSEN WOLLT«, sagte
Owen, »EIN METER FÜNFZIG UND FÜNFZIG KILO.«
    »Bist du einen Meter fünfzig, Owen?« fragte Dan.
    »Seit wann wiegst du fünfzig Kilo?« wollte ich wissen.
    »ICH HAB ZIEMLICH VIEL BANANEN UND EIS GEGESSEN«, meinte
Owen Meany. »UND ALS SIE MICH GEMESSEN HABEN, HAB ICH TIEF LUFT
GEHOLT UND MICH AUF DIE ZEHENSPITZEN GESTELLT!«
    Es war nur recht und billig, daß wir ihm gratulierten; er war recht
zufrieden, daß er auf seine Weise zu seinem »Stipendium« gekommen war. Und
damals schien es, als hätte er Randy White vernichtend geschlagen. Damals
wußten weder Dan noch ich von seinem »Traum«; ich glaube, es hätte uns etwas
beunruhigt, daß er [573]  mit der Armee zu tun
bekam, wenn er uns damals schon seinen Traum beschrieben hätte.
    Und an jenem Februarmorgen, als Rev. Lewis Merrill die Aula betrat
und so erschreckt auf die enthauptete und verstümmelte Maria Magdalena starrte,
dachten Dan Needham und ich nicht sehr weit in die Zukunft; wir machten uns nur
Sorgen, ob Rev. Lewis Merrill nicht zuviel Angst hatte, sein Gebet zu sprechen – daß der Anblick der Maria Magdalena sein leichtes Stottern noch verstärken
und seine Rede völlig unverständlich machen würde. Er stand vor der Bühne und
starrte zu ihr hinauf – eine ganze Weile; er vergaß sogar, seine Matrosenjacke
und seine Seemannsmütze auszuziehen; und da die Kongregationalisten nicht immer
ein Kollarhemd tragen, wirkte Rev. Lewis Merrill weniger wie unser
Schulgeistlicher, sondern eher wie ein betrunkener Seemann, der auf etwas
gestoßen ist, das zu seiner religiösen Bekehrung führte.
    Rev. Mr.   Merrill stand also völlig verdattert da, als der
Schulleiter die Aula betrat. Wenn Randy White erstaunt war, so viele
Lehrergesichter bei dieser Morgenversammlung zu sehen, so änderte das
jedenfalls nichts an seinem normalen, aggressiven Gang; wie immer nahm er auf
dem Weg zur Bühne zwei Stufen auf einmal. Und der Direktor zuckte nicht
zusammen – schien auch nicht im geringsten erstaunt – als er schon jemanden am
Podium stehen sah. Oft gab Rev. Lewis Merrill das Anfangslied bekannt; oft
sprach Pastor Merrill nach dem Anfangslied sein Gebet. Dann machte der Schulleiter seine Bemerkungen – und gab uns auch die
Liednummer des Schlußliedes bekannt; und das war’s.
    Der Schulleiter brauchte eine Zeitlang, bis er Mr.   Merrill erkannte,
der in seiner Matrosenjacke und der Seemannsmütze vor der Bühne stand und die
Gestalt anstarrte, die uns vom Podium herab anflehte. Unser Direktor war ein
Mann, der es gewohnt war, die Dinge in die Hand zu nehmen – er war es gewohnt,
Entscheidungen zu treffen, unser Randy White. Als er die monströse Gestalt auf
dem Podium erblickte, tat er das, wozu er sich als [574]  Schulleiter
sofort verpflichtet fühlte, er ging zu der Heiligen hin und ergriff sie an
ihrem bescheidenen Gewand – umfaßte ihre Hüfte und versuchte sie hochzuheben.
Ich glaube nicht, daß er den Stahlbändern Beachtung schenkte, die ihre Hüfte
umgürteten, oder den riesigen Schrauben, die ihre Füße durchbohrten und unter
der Bühne mit den Muttern verschweißt waren. Ich vermute, sein Rücken tat ihm
noch immer ein bißchen weh nach seiner beeindruckenden Aktion mit Dr.   Dolders
Käfer; doch der Direktor schenkte auch seinem Rücken keine Beachtung. Er faßte
Maria Magdalena einfach um die Mitte; er gab ein Grunzen von sich – und nichts
passierte. Maria Magdalena und alles, was sie darstellte, war nicht so einfach
wegzubekommen wie ein Volkswagen.
    »Ihr haltet das wohl für komisch !« sagte
der Schulleiter zu den versammelten Schülern und Lehrern; doch niemand lachte.
»Nun, ich werde euch sagen, was das ist«, fuhr Randy White fort. »Das ist ein Verbrechen «,

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