Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Wasserskilaufen,
nach der Arbeit und an den Wochenenden. Onkel Alfred und Tante Martha nahmen
mich herzlich in die Familie auf; den Sommer über bekam ich Hesters Zimmer.
Hester blieb in ihrer Wohnung in Durham und arbeitete als Kellnerin in einem
dieser sandigen Hummerrestaurants… ich glaube, es war in Kittery oder
Portsmouth. Wenn sie mit der Arbeit fertig war, fuhren sie und Owen im
tomatenroten Kleintransporter an die Strandpromenade von Hampton Beach. Hesters
Mitbewohnerinnen waren über die Sommerferien weggefahren, und Hester und Owen
verbrachten jede Nacht in ihrer kleinen Wohnung in Durham, ganz allein. Sie
»lebten zusammen wie Mann und Frau« – auf diese mißbilligende und frostige
Weise drückte Tante Martha sich aus, wenn sie, was selten vorkam, überhaupt
darüber sprach.
    Ungeachtet der Tatsache, daß Owen und Hester wie Mann und Frau zusammenlebten,
waren Noah, Simon und ich nie ganz [580]  sicher,
ob sie »es« auch wirklich machten. Simon war sicher, Hester könne ohne »es«
nicht leben, Noah spürte irgendwie, daß die beiden »es« bereits gemacht hatten, dann jedoch aus einem ganz bestimmten Grund damit
aufgehört hatten. Ich hatte das seltsame Gefühl, daß bei den beiden alles möglich war: daß sie »es« schon die ganze Zeit
zügellos trieben, daß sie »es« nie gemacht hatten, dafür aber etwas viel
Schlimmeres taten – oder etwas Besseres – und daß das wahre Band zwischen ihnen (ob sie »es« nun machten oder nicht) sogar noch viel
leidenschaftlicher und viel trauriger war als Sex. Owen und ich lebten in
verschiedenen Welten – ich arbeitete mit Holz und atmete die frische Nordluft,
in der der Geruch der Bäume hing; er arbeitete mit Granit, im Steinbruch, wo
die Sonne unbarmherzig niederknallte, schluckte den Granitstaub und roch das
Dynamit.
    Kettensägen waren damals noch verhältnismäßig neu; die Eastman
Company verwendete sie zum Holzfällen, doch bei weitem nicht überall – sie
waren schwer und unhandlich, nicht annähernd so leicht und leistungsstark wie
die von heute. Damals schafften wir die Baumstämme mit Pferden und Zugmaschinen
aus dem Wald, und das Zerkleinern des Holzes erfolgte oft mit Zugsägen und Äxten.
Wir luden die Stämme von Hand auf die Zugmaschinen, wobei wir Wendehaken oder
Hebebäume benutzten; heute verwendet man, wie mir Noah und Simon zeigten,
Rückefahrzeuge und Prozessoren. Selbst das Sägewerk ist nicht mehr wie früher;
es gibt kein Sägemehl mehr! Doch 1962 luden wir das Holz im Sägewerk ab und
zersägten es in verschieden große Klötze, und all die Rinde und das Sägemehl
waren ungenutzter Abfall; heute bezeichnen Noah und Simon es als »brennbare
Abfälle« oder sogar als »Energie« – sie stellen damit ihre eigene Elektrizität
her!
    »Ist das nicht ein Fortschritt?« meint
Simon immer.
    Jetzt sind wir die Erwachsenen, die wir damals möglichst schnell
werden wollten; jetzt können wir soviel Bier trinken wie wir nur wollen, ohne
daß uns auch nur einer nach dem Alter fragt. [581]  Noah
und Simon haben ihr eigenes Haus – Frau und Kinder – und kümmern sich rührend
um den alten Onkel Alfred und um Tante Martha, die noch immer eine hübsche Frau
ist, obwohl ihr Haar schon recht grau ist; sie erinnert mich sehr an meine
Großmutter im Sommer 1962.
    Onkel Alfred hat zwei Bypassoperationen hinter sich, doch es geht
ihm ganz gut. Die Eastman Company hat ihm und Tante Martha ein schönes, langes
Leben ermöglicht. Nur noch ganz selten wird meine Tante von einem Anflug von Neugier
gepackt, wer denn nun mein tatsächlicher Vater ist oder war; letztes Jahr an
Weihnachten, in Sawyer Depot, konnte sie es so einrichten, daß wir für kurze
Zeit allein waren, und sie begann sofort: »Weißt du es immer noch nicht? Du kannst es mir ruhig sagen, ich wette, du weißt es. Du mußt doch etwas herausgefunden haben – in all den Jahren!«
    Ich legte den Finger auf die Lippen, als würde ich ihr jetzt etwas
sagen, von dem ich nicht wollte, daß Onkel Alfred oder Noah oder Simon es
erfuhren. Tante Martha wurde sehr aufmerksam – ihre Augen funkelten, und mit
Verschwörermiene lächelte sie mich an.
    »Dan Needham ist der beste Vater, den sich ein Junge nur wünschen
kann«, flüsterte ich ihr zu.
    »Ich weiß – Dan ist ein wunderbarer Mensch«, sagte Tante Martha ungeduldig;
das war es nicht, was sie hören wollte.
    Und worüber reden Noah, Simon und ich noch immer – nach all den Jahren? Wir reden darüber, was Owen »wußte« oder zu

Weitere Kostenlose Bücher