Owen Meany
den Episkopalen.«
»Wie meinen Sie das? Sie sind nicht sicher?« fragte er weiter.
Ich erklärte ihm, daß ich seit jenem Weihnachtsgottesdienst im Jahre
1953 keinen Gottesdienst der Episkopalkirche mehr besucht hatte; und als ich an
die Hurd’s Church und den [632] zweifelnden Kongregationalisten
Mr. Merrill dachte, sagte ich: »Wahrscheinlich bin ich eine Art
konfessionsfreier Christ.«
»Gut, das werden wir schon in Ordnung bringen!« erklärte Canon
Campbell. Er gab mir mein erstes anglikanisches, mein
erstes kanadisches Gebetbuch; ich benutze es noch
immer. So einfach war das: sich einer Kirche anzuschließen, Anglikaner zu
werden. Von »leiden« kann man da wohl nicht sprechen.
Auf diese Weise waren die ersten Kanadier, die ich kennenlernte,
Kirchgänger – ein überaus hilfsbereiter Menschenschlag und bei weitem nicht so
verstört und orientierungslos wie die paar Amerikaner, die ich in Toronto
kennenlernte (und die meisten Amerikaner, die ich zu
Hause gekannt hatte). Die Gottesdienstbesucher in der Grace Church waren
konservativ; »konservativ« zu sein – insbesondere in bezug auf Sitte und
Anstand – ist für uns Wheelwrights eine durchaus akzeptable Haltung. Was das
angeht, haben wir Neuengländer mehr mit den Kanadiern gemeinsam als mit den New Yorkern ! So war mir zum Beispiel bald die Haltung des
Torontoer Hilfskomitees für Kriegsgegner lieber als die radikaleren Positionen
von AMEX. Das Hilfskomitee stellte die
»Integration in das normale kanadische Leben« in den Vordergrund; es
betrachtete den Verband der Amerikaner im Exil als »zu politisch« – womit zu
radikal, zu militant antiamerikanisch gemeint war. Möglicherweise war AMEX dadurch diskreditiert, daß es die Deserteure
offen unterstützte. Ziel des Hilfskomitees war es, die Amerikaner schnell zu »integrieren«; man empfahl uns, den Integrationsprozeß
damit zu beginnen, daß wir das Thema Vereinigte Staaten fallenließen.
Am Anfang erschien mir das sehr vernünftig – und ganz einfach.
Innerhalb eines Jahres nach meiner Ankunft zeigte auch AMEX die ersten Zeichen von Anpassung ans kanadische
Leben. Die Bedeutung der Abkürzung wandelte sich von Amerikaner im Exil zu
expatriierte, d. h. im Ausland lebende Amerikaner. [633] Klingt
das nicht schon eher, als wäre es mit dem Ziel einer »Integration ins normale
kanadische Leben« vereinbar? Ich fand ja.
Als mich einige der Gottesdienstbesucher in der Grace Church
fragten, was ich von Premierminister Pearsons Ansicht hielt, daß es sich bei
den Deserteuren (im Gegensatz zu den Kriegsdienstverweigerern) um eine
Kategorie von US -Bürgern handle, die man eher davon
abhalten sollte, nach Kanada zu kommen – da sagte ich tatsächlich, ich sei der
gleichen Meinung. Obwohl ich – wie ich zugab – nie auch nur einem einzigen radikalen Deserteur begegnet war. Die Deserteure, die ich
kennengelernt hatte, gehörten zu einer »Kategorie von Bürgern«, die jedes Land gut gebrauchen und sinnvoll einsetzen könnte.
Und als 1969 bekanntgegeben wurde, man werde amerikanische Deserteure an der
Grenze zurückweisen, weil es sich bei ihnen um Personen handle, die
»möglicherweise Anlaß öffentlichen Ärgernisses« werden würden, habe ich nicht
ein einziges Mal – zu keinem meiner kanadischen Freunde – tatsächlich gesagt, daß die Deserteure meiner Ansicht nach mit ebenso
geringer Wahrscheinlichkeit zum öffentlichen Ärgernis werden würden wie ich. Zu diesem Zeitpunkt hatte mich Canon Campbell bereits
mit Old Teddybear Kilgour bekannt gemacht, und der hatte mich als Lehrer für
die Bishop Strachan School angeheuert. Wir Wheelwrights haben immer Nutzen aus
unseren Beziehungen gezogen.
Owen Meany hatte keine Beziehungen. Es war nie leicht für ihn, sich
anzupassen. Ich kann mir gut vorstellen, was er zu dem Schwachsinn gesagt
hätte, der im Toronto Daily Star stand; für mich traf
das damals den Nagel so genau auf den Kopf, daß ich mir den Artikel ausschnitt
und ihn an die Kühlschranktür klebte, am 17. Dezember 1970. Es war die Antwort
auf eine Erklärung von AMEX zu den fünf wichtigsten
Grundsätzen für in Kanada lebende Amerikaner (der fünfte lautete: »Versuche
dich in das Leben in Kanada zu integrieren«). Der Toronto
Daily Star schrieb: »Solange die jungen Amerikaner, für die AMEX spricht, nicht ihren [634] fünften
Grundsatz zur Nummer eins machen, riskieren sie, bei den Kanadiern eine
zunehmend feindselige und mißtrauische Haltung hervorzurufen.« Ich habe
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