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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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nie daran
gezweifelt, daß das zutraf. Doch ich weiß, was Owen Meany dazu gesagt hätte. » DAS KLINGT, ALS HÄTTE ES EIN AMERIKANER GESAGT!« wäre Owen Meanys Kommentar gewesen. » DER ›ERSTE UND
WICHTIGSTE GRUNDSATZ‹ IM LEBEN JEDES JUNGEN AMERIKANERS LAUTET: VERSUCHE DICH
IN DAS AMERIKANISCHE LEBEN ZU
INTEGRIEREN. WEISS DENN DIESER DUSSELIGE TORONTO DAILY STAR NICHT, WER
DIESE JUNGEN AMERIKANER SIND, DIE NACH KANADA KOMMEN? DAS SIND
AMERIKANER, DIE IHR LAND VERLASSEN HABEN, WEIL SIE SICH WEDER ›INTEGRIEREN‹ KONNTEN, NOCH ES WOLLTEN . UND JETZT
SOLLEN SIE ES ZU IHREM GRUNDSATZ NUMMER EINS MACHEN, SICH HIER ZU INTEGRIEREN? JUNGE – DAS IST
VIELLEICHT EIN TOLLER EINFALL; WIRKLICH BRILLANT. DAFÜR SOLLTEN SIE EINEN VON
DIESEN DÄMLICHEN JOURNALISMUSPREISEN KRIEGEN!«
    Aber ich beschwerte mich nicht; ich meckerte an nichts herum – damals nicht. Ich fand, ich hatte von Hester soviel Gemecker zu hören bekommen,
daß es für den Rest meines Lebens reichte. Auch zu den Gesetzesverschärfungen
sagte ich kein Wort; ich stimmte allem zu. Was machte es schon, wenn die
Grundrechte sechs Monate lang eingeschränkt wurden? Was machte es, daß für eine
Hausdurchsuchung kein Durchsuchungsbefehl mehr nötig war? Oder daß man bis zu
neunzig Tage lang ohne Kontakt zu einem Anwalt in Haft gehalten werden durfte?
Alle Aktionen dagegen fanden in Montreal statt. Nicht einmal Hester wäre
verhaftet worden, wenn sie zu dieser Zeit in Toronto gewesen wäre! Ich verhielt
mich völlig ruhig; ich pflegte meine freundschaftlichen Beziehungen zu
Kanadiern, und die meisten von meinen Freunden waren der Meinung, Trudeau könne
nichts falsch machen, er sei ein Ehrenmann. Selbst mein guter alter Freund
Canon Campbell machte in diesem Zusammenhang mir gegenüber eine [635]  ziemlich hohle Bemerkung – doch ich würde ihm das
nie ankreiden. Canon Campbell sagte: »Wissen Sie, Trudeau ist unser Kennedy.« Ich war froh, daß er das nicht zu Owen
Meany gesagt hat; ich kann mir gut vorstellen, was Owen darauf erwidert hätte.
    »AHA, SIE MEINEN ALSO, TRUDEAU HAT ES MIT MARILYN
MONROE GETRIEBEN?« hätte Owen Meany darauf erwidert.
    Aber ich bin nicht nach Kanada gekommen, um mich hier als
obergescheiter Amerikaner aufzuspielen; und Canon Campbell erzählte mir,
obergescheite Kanadier würden größtenteils dazu neigen, in die Vereinigten
Staaten zu ziehen. Ich wollte keiner von diesen Leuten sein, die an allem
herumkritisieren müssen. In den siebziger Jahren gab es in Toronto eine Menge
Amerikaner, die sich ständig über irgend etwas beschwerten; einige von ihnen
beschwerten sich auch über Kanada – Kanada habe den USA für mehr als fünfhundert Millionen Dollar Munition und anderes Kriegsmaterial
verkauft, meinten sie.
    »Sind das kanadische Dollar oder US -Dollar?«
fragte ich daraufhin. Ich war sehr cool; ich wollte mich aus allem raushalten.
Kurzum, ich tat mein Bestes, um ein Kanadier zu sein; ich ließ keine Tiraden mehr los über die Scheiß- USA und ihre Scheißpolitik und wer weiß was alles! Und als man mir erzählte, Kanada
habe 1970 – pro Kopf – mehr Geld durch Waffenexporte eingenommen als jedes
andere Land der Welt, da sagte ich: »Tatsächlich? Das ist ja hochinteressant!«
    Irgend jemand hat zu mir gesagt, die meisten
Kriegsdienstverweigerer, die in die USA zurückkehrten, kämen einfach mit dem kanadischen Klima nicht zurecht, und was
meine Meinung zur Ernsthaftigkeit der Haltung »dieser Leute« sei, wenn ein
bißchen Kälte stärker sei als ihre Kriegsgegnerschaft?
    Ich sagte nur, in New Hampshire sei es kälter.
    Und ob ich wisse, warum nicht allzu viele schwarze Amerikaner nach
Kanada gekommen seien, fragte mich ein anderer. Und die, die kamen, blieben
nicht, meinte ein dritter. Das liege daran, [636]  daß
sie in den Ghettos, aus denen sie kamen, besser behandelt wurden, vermutete
wieder ein anderer. Ich sagte kein Wort.
    Ich war mehr Anglikaner als ich jemals Kongregationalist oder Episkopaler gewesen bin – oder auch Konfessionsfreier,
Hurd’s Church-Besucher oder was immer sonst. Ich nahm am Gemeindeleben der
Grace Church teil, wie ich es nie zuvor bei
irgendeiner Kirchengemeinde gemacht hatte; und ich wurde ein guter Lehrer. Ich
war noch jung damals; gerade sechsundzwanzig. Und ich hatte keine Freundin, als
ich begann, die Mädchen an der Bishop Strachan School zu unterrichten – doch
nicht einmal eine von ihnen sah ich mir unter diesem Gesichtspunkt an; nicht
ein einziges Mal, nicht einmal diejenigen,

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