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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ich mich, Katherine zu erzählen,
wie viele Sonntagsgottesdienste ich habe ausfallen lassen.
    Katherine hat recht. Ich werde versuchen, auf Zeitungen zu
verzichten. In The Globe and Mail stand heute, die
Contras in Nicaragua hätten Gefangene hingerichtet; gegen die Contras wird
wegen »22 Fällen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen« ermittelt – und
genau diese dreckigen Contras sind, wie Präsident Reagan sagt, »das moralische
Äquivalent unserer Gründerväter«! Mittlerweile hat der geistige Führer des
Iran, der Ajatollah, alle Moslems aufgefordert, »Amerika die Zähne einzuschlagen«;
das klingt doch genau nach jemandem, dem die Amerikaner Waffen verkaufen
sollten – oder etwa nicht? Die US -Politik ergibt
ganz einfach keinen Sinn.
    Ich stimme Katherine zu. Zeit zum Angeln; Zeit, um den platten
Schwanz dieses kleinen Wassersäugetiers in Augenschein zu nehmen – ist es ein
Otter oder eine Bisamratte? Zeit, bestimmte Dinge herauszufinden. Und dort
draußen, wo die Farbe des Wassers zuerst in Blaugrün und dann in die eines
Blutergusses übergeht, was sehe ich da ins Wasser eintauchen: einen Seetaucher
oder [628]  ein Wasserhuhn? Zeit, zu sehen; Zeit,
alles andere zu vergessen. Und es ist »höchste Zeit« – wie Canon Mackie immer
sagt – für mich, den Versuch zu machen, ein Kanadier zu sein !
    Als ich nach Kanada kam, glaubte ich, es würde leicht werden, ein
Kanadier zu sein; wie so viele dumme Amerikaner stellte ich mir Kanada einfach
als eine nördliche, kältere, möglicherweise provinziellere Region der
Vereinigten Staaten vor –, ich glaubte, es würde wie ein Umzug nach Maine oder
Minnesota werden. Ich war überrascht festzustellen, daß in Toronto weniger
Schnee fiel und es nicht so kalt war wie in New Hampshire – und die Atmosphäre
bei weitem nicht so provinziell. Noch mehr überraschte es mich zu entdecken,
wie anders die Kanadier waren – so höflich! Natürlich begann ich sofort, mich
zu entschuldigen. »Ich bin nicht vor der Einberufung davongelaufen«, erklärte
ich; aber die meisten Kanadier wollten gar nicht wissen, warum ich hier war. »Sicher bin ich Kriegsgegner«, erzählte ich damals
allen, »aber ich brauche nicht vor der Einberufung
davonzulaufen – deshalb bin ich nicht hier.«
    Aber die meisten Kanadier wollten gar nicht wissen, warum ich gekommen war; sie stellten mir keine Fragen. Es
war 1968, wahrscheinlich der Höhepunkt der Abwanderung von »Vietnamkriegsgegnern«
nach Kanada; die meisten Kanadier zeigten Verständnis – sie hielten den Krieg
in Vietnam auch für einen Fehler. 1968 brauchte man 50 Punkte, um eine
Aufenthaltserlaubnis zu bekommen; wer eine Aufenthaltserlaubnis hatte, konnte
sich – nach fünf Jahren – um die kanadische Staatsbürgerschaft bewerben. Die 50
Punkte zusammenzubekommen war für mich nicht besonders schwer; ich hatte ein
gutes Examen und meinen Magister in Englisch – mit Owen Meanys Hilfe hatte ich
eine Magisterarbeit über Thomas Hardy geschrieben. Außerdem konnte ich zwei
Jahre Lehrerfahrung vorweisen; gegen Ende meines Studiums an der University of
New Hampshire hatte ich eine Teilzeitstelle als Lehrer an der Gravesend Academy – Einführung in [629]  das wissenschaftliche
Arbeiten. Dan Needham und Mr.   Early hatten mich für die Stelle empfohlen.
    1968 war jeder neunte Kanadier Einwanderer; und die
Vietnamkriegsgegner waren besser ausgebildet und vielseitiger verwendbar als
die meisten anderen Einwanderer in Kanada. In diesem Jahr wurde der Verband der
Amerikaner im Exil gegründet; verglichen mit Hester – und ihren Freunden vom SDS, diesen sogenannten Studenten für eine
demokratische Gesellschaft – waren die paar Jungs von AMEX, dem Verband der Amerikaner im Exil, die ich kennenlernte, ein recht braver
Haufen. Ich war an Krawallmacher gewöhnt; Hester war
damals ganz groß im Krawallmachen. Das war das Jahr, als sie in Chicago
verhaftet wurde.
    Hester zog sich einen Nasenbeinbruch zu, während sie vor dem
Gebäude, in dem der Nominierungsparteitag der Demokratischen Partei stattfand,
Krawall veranstaltete. Sie sagte, ein Polizist habe ihr Gesicht gegen die
aufgleitende Schiebetür eines Lieferwagens gedrückt; aber Hester wäre
enttäuscht gewesen, wenn sie mit völlig heilen Knochen aus Chicago zurückgekommen
wäre. Die Amerikaner, mit denen ich in Toronto zu tun bekam – selbst die
Organisatoren von AMEX, ja sogar die Deserteure –, waren
weitaus vernünftiger als Hester und viele andere Amerikaner, mit

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