Owen Meany
die sich auf Schulmädchenart in mich
verknallt hatten. O ja, es gab da ein paar Jahre, da war eine ganze Reihe der
Mädchen in mich verschossen – früher; heute natürlich nicht mehr. Doch ich habe
diese hübschen Dinger noch gut in Erinnerung; ein paar von ihnen haben mich
sogar zu ihrer Hochzeit eingeladen!
Damals, in den ersten Jahren, als Canon Campbell mir ein guter
Freund und ein Quell der Inspiration war – als ich mein Gebetbuch und das Handbuch für Einwanderer im Wehrpflichtigenalter stets bei
mir hatte! – war ich geradezu ein Musterkanadier.
Wenn ich an einen der Jungs von AMEX geriet – und das passierte nicht oft, nicht in Forest Hill – verlor ich kein
Wort über die Vereinigten Staaten oder über Vietnam. Ich muß geglaubt haben,
mein Ärger und meine Einsamkeit würden von alleine vergehen, wenn ich es nur
zuließ.
Es gab Versammlungen; natürlich gab es auch Protestveranstaltungen.
Doch ich ging da nicht hin; nicht einmal in Yorkville war ich dabei – so wenig
hatte ich mit dem Ganzen zu tun! Als das »Riverboat« weg war, trauerte ich
nicht – und begann auch nicht, alte Folksongs vor mich hinzusingen. Von Hester
hatte ich genug Folksongs zu hören bekommen. Ich trug die Haare damals kurz
geschnitten; heute trage ich sie ebenso. Ich hatte nie einen Bart. [637] All diese Hippies, diese Zeit der Protestsongs
und der »sexuellen Freiheit«; wer erinnert sich noch daran? Owen Meany hatte
viel mehr geopfert, er hatte viel mehr gelitten – ich interessierte mich nicht
im geringsten für die Opfer, die andere Leute brachten, oder dafür, was sie als
ihr heroisches Leiden betrachteten.
Man sagt, niemand beweise größeren Glaubenseifer als ein Konvertit – und genau das war ich als Anglikaner. Man sagt, kein Bürger sei patriotischer
als ein frisch eingewanderter – und es gab keinen, der sich heftiger um
»Integration« bemühte als ich. Man sagt, kein Lehrer unterrichte mit größerem
Elan als ein Anfänger – und ich brachte meinen Schülerinnen bei, wie man sich
die Finger wundschreibt!
1967 hatten 40 227 Deserteure den amerikanischen Streitkräften den
Rücken gekehrt; 1970 waren es 89 088 – in diesem Jahr wurden nur 3712 Amerikaner
wegen Verstoßes gegen die Wehrpflicht strafrechtlich verfolgt. Ich frage mich,
wie viele außerdem ihre Musterungsbescheide verbrannt haben. Was interessierte
mich das überhaupt? Den Musterungsbescheid verbrennen, nach Kanada gehen, sich
in Chicago von der Polizei die Nase einschlagen lassen – ich habe das alles nie
für besonders heldenhaft gehalten, zumindest nicht verglichen mit dem, was Owen
Meany getan hat. Und bis 1970 hatten bereits über vierzigtausend Amerikaner in
Vietnam ihr Leben verloren; ich glaube nicht, daß auch nur einer von ihnen im
Verbrennen von Musterungsbescheiden und der Emigration nach Kanada etwas
sonderlich Heldenhaftes gesehen hätte – und auch während der Proteste in
Chicago verhaftet zu werden dürfte für sie wohl kaum eine großartige Sache
gewesen sein.
Und was Gordon Lightfoot, Neil Young und Joni Mitchell angeht – ich
hatte bereits Bob Dylan und Joan Baez gehört, und Hester. Hester hatte ich
sogar »Four Strong Winds« von Ian Tyson singen hören. Sie war immer ganz gut
mit der Gitarre – sie hatte die hübsche Stimme ihrer Mutter geerbt, wenn auch
Tante [638] Marthas Stimme nicht so hübsch war
wie die meiner Mutter – welche nur hübsch, aber nicht
kräftig genug, nicht gut genug entwickelt gewesen war. Hester hätten fünf Jahre
Gesangsunterricht bei Graham McSwiney nicht geschadet, aber sie glaubte nicht
daran, daß man singen lernen konnte. Das Singen stecke »in ihr«, behauptete
sie.
»DAS KLINGT, ALS WÄRE ES EINE KRANKHEIT«, meinte Owen darauf; aber er war ihre wichtigste Stütze. Wenn sie sich damit
abmühte, selbst Lieder zu schreiben, dann lieferte Owen ihr hin und wieder
Ideen; später erzählte sie mir, daß er sogar ein paar Lieder für sie
geschrieben habe. Und zu dieser Zeit sah sie aus wie eine Folksängerin – oder
anders ausgedrückt, sie sah aus, wie es ihr gerade gefiel, oder wie alle
anderen: ein bißchen vergammelt, ein bißchen abgeklärt, ziemlich mitgenommen.
Sie wirkte, als habe sie eine Menge erlebt, als habe sie auf einem Bettvorleger
geschlafen (mit mehr als einem Mann), sie sah aus, als würde ihr Haar nach Hummer riechen. Ich kann mich gut daran erinnern, wie
sie »Four Strong Winds« gesungen hat – ich erinnere mich noch äußerst lebhaft
daran, wie sie
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