Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Owen sei nicht tauglich für eine Kampftruppe. Ich sagte Dan,
ich fühlte mich schuldig, weil ich diese Dinge »hinter Owens Rücken« erzählt
hatte.
    »Wie kannst du dich ›schuldig‹ fühlen, wenn du versucht hast, ihm
das Leben zu retten?« fragte Dan mich.
    Hester sagte das gleiche, als ich ihr gestand, daß ich Owen an
Colonel Eiger verraten hatte.
    »Wie kannst du sagen, du hättest ihn ›verraten‹? Wenn du ihn liebst,
wie kannst du dann wollen, was er will? Er ist verrückt!« rief Hester. »Wenn
die Armee darauf besteht, daß er für den Kampf nicht ›tauglich‹ ist, dann
könnte mir sogar unsere Scheißarmee sympathisch werden!«
    Doch mir kamen allmählich alle verrückt
vor. Meine Großmutter grummelte nur noch in den Fernseher – Tag und Nacht. Sie
fing [651]  an, Dinge und Leute zu vergessen – wenn sie sie nicht im Fernsehen gesehen hatte –, und, schlimmer noch, sie
erinnerte sich an alles, was sie im Fernsehen gesehen hatte, mit einer
hirnlosen, automatischen Präzision. Selbst Dan Needham kam mir verrückt vor;
wie konnte man sich nur jahrelang so für das Laientheater begeistern – und mit
wahrem Feuereifer dem Problem nachgehen, welche Rolle in Ein
Weihnachtslied die beste für Mr.   Fish war? Und obwohl ich die
Entscheidung der Gaswerke von Gravesend, sie zu entlassen, nicht billigte,
hielt ich Mrs.   Hoyt ebenfalls für verrückt. Und diese »Patrioten«, die
festgenommen worden waren, als sie ihr Auto zertrümmerten und die Garage verwüsteten,
waren noch verrückter als sie. Und Rektor Wiggin und seine Frau Barbara… die
waren schon immer verrückt gewesen; jetzt behaupteten
sie, Gott »unterstütze« die amerikanischen Truppen in Vietnam – und gaben damit
zu verstehen, daß man sich sowohl gegen Amerika als auch gegen Gott stellte,
wenn man die Präsenz unserer Truppen dort nicht guthieß. Obwohl Rev. Lewis Merrill – zusammen mit Dan Needham – der
Hauptbefürworter dessen war, was sich in der Gravesend Academy an
Antikriegsbewegung bildete, so erschien auch er mir verrückt; trotz all seines
Geredes über den Frieden kam er mit Owen Meany keinen Schritt voran.
    Natürlich war Owen der verrückteste; Owen und Hester standen
einander zwar an Verrücktheit in nichts nach, aber angesichts der Tatsache, daß
Owen sich aktiv um den Einsatz in einer Kampftruppe bemühte, gab es für mich
keinen Zweifel, daß er der verrückteste war.
    »Warum willst du unbedingt ein Held sein?« wollte ich von ihm
wissen.
    »DAS VERSTEHST DU NICHT«, gab er
zurück.
    »Nein, das verstehe ich allerdings nicht«, sagte ich. Es war im
Frühling 1966, in unserem letzten Studienjahr; ich war bereits für das
Graduiertenstudium an der University of New Hampshire zugelassen – im nächsten
Jahr jedenfalls würde ich nirgendwohin [652]  gehen;
ich hatte noch immer meinen Zurückstellungsbescheid und hielt mich daran fest.
Owen hatte bereits seinen Einsatzgesuch eingereicht – sein TRAUMTICKET , wie er es nannte. Auf seinem
Personalfragebogen hatte er sich für einen »Einsatz in Übersee« beworben. Auf
beiden Bögen hatte er detailliert angegeben, daß er nach Vietnam wollte:
Infanterie, Panzertruppe oder Artillerie – in dieser Reihenfolge. Er war nicht optimistisch; da er seine Grundausbildung nicht mit
Auszeichnung bestanden hatte, war die Armee keineswegs verpflichtet, seinen
Wünschen nachzukommen. Er gab zu, daß keiner ihm Mut gemacht hatte, als er
schriftlich darum gebeten hatte, nicht bei der Militärverwaltung, sondern in
einer Kampftruppe eingesetzt zu werden – nicht einmal Colonel Eiger hatte ihm
Hoffnung gemacht.
    »DIE ARMEE GIBT EINEM DIE ILLUSION, MAN KÖNNE WÄHLEN – MAN HAT DIE GLEICHE WAHL WIE JEDER ANDERE AUCH«, sagteOwen. Während er auf seinen Gestellungsbefehl
wartete, warf er ständig mit diesen blödsinnigen Begriffen um sich, die man von
der Armeeführung hörte: PANZERAUSBILDUNG, FALLSCHIRMJÄGERAUSBILDUNG,
AUSBILDUNG FÜR SPEZIALEINHEITEN; einesTages,
als er sagte, er wünschte, er wäre zur LUFTLANDESCHULE oder zur RANGERSCHULE gegangen, übergab sich Hester.
    »Warum willst du überhaupt dahin?« brüllte
ich ihn an.
    »ICH WEISS, DASS ICH HINGEHEN WERDE «, sagte er. »ES IST NICHT NOTWENDIGERWEISE EINE FRAGE DES WOLLENS .«
    »Moment mal, nochmal langsam zum Mitschreiben«, sagte ich. »Du
›weißt‹, daß du wohin gehst?«
    »NACH VIETNAM «, sagte er.
    »Aha.«
    »Gar nichts ›aha‹«, sagte Hester. »Frag ihn doch, woher er ›weiß‹, daß er nach

Weitere Kostenlose Bücher