Owen Meany
Vietnam geht«, meinte sie zu mir.
»Woher weißt du das, Owen?« fragte ich
ihn; mir schien klar, woher er es wußte – es war dieser Traum, und dabei lief es mir kalt den Rücken runter.
[653] Owen und ich saßen auf den
Holzstühlen mit kerzengerader Rückenlehne in Hesters kakerlakenverseuchter
Küche. Hester machte gerade eine Tomatensauce; sie kochte nicht besonders gut,
und in der Küche hing der essighaltige, zwiebelige Geruch der vielen
Tomatensaucen, die sie bereits gemacht hatte. Sie schwenkte in einer
gußeisernen Pfanne eine Zwiebel in billigem Olivenöl, dann gab sie eine Dose
Tomaten dazu. Sie fügte Wasser hinzu – und Basilikum, Oregano, Salz, Paprika
und manchmal noch einen Rest Schweinefleisch, Lammfleisch oder ein kleines
Steak. Dieses Gemisch ließ sie dann so lange brodeln, bis es auf weniger als
die Hälfte der Dosentomaten eingekocht und wie ein fester Brei war. Das kippte
sie dann über viel zu weich gekochte Nudeln. Hin und wieder überraschte sie uns
mit einem Salat – die Sauce bestand stets aus viel zu viel Essig und dem
gleichen billigen Olivenöl, mit dem sie die Zwiebeln malträtierte.
Manchmal lag sie nach dem Abendessen auf dem Sofa im Wohnzimmer und
hörte Musik – oder aber sie sang Owen und mir etwas vor. Doch im Moment war das
Sofa nicht sehr einladend, da Hester einem der herumstreunenden Hunde von
Durham Asyl gewährte: Das Tier hatte seiner Dankbarkeit dergestalt Ausdruck
verliehen, daß es Hesters Sofa im Wohnzimmer mit Flöhen übersät hatte. Das war
das Leben, das Owen Hesters und meiner Ansicht nach zu wenig schätzte.
»ICH WILL KEIN HELD SEIN«, sagte
Owen Meany. »ES KOMMT NICHT DARAUF AN, DASS ICH EIN HELD SEIN
WILL – ICH WERDE EIN HELD SEIN.
ICH WEISS, DASS DAS MEINE AUFGABE IST.«
» Woher weißt du das?« fragte ich ihn.
»ES IST NICHT SO, DASS ICH NACH VIETNAM WILL – ICH MUSS DORTHIN. DORT
WERDE ICH EIN HELD SEIN. ICH MUSS EINFACH DORTHIN.«
»Erzähl ihm, woher du das ›weißt‹, du Arschloch!« brüllte Hester.
»SO WIE MAN EBEN BESTIMMTE DINGE WEISS – SO WIE MAN [654] SEINE VERPFLICHTUNGEN KENNT, SEINE BESTIMMUNG
ODER SEIN SCHICKSAL« , sagte er. »SO, WIE MAN
EBEN WEISS, WAS GOTT MIT EINEM VORHAT.«
»Gott will, daß du nach Vietnam gehst?« fragte ich ihn.
Hester rannte aus der Küche und schloß sich im Bad ein; sie ließ
Wasser in die Badewanne laufen. »Ich hör mir diesen Scheiß nicht länger an – nicht ein einziges Mal mehr, hab ich dir gesagt, Owen!« schrie sie.
Als Owen aufstand, um die Flamme unter der Tomatensauce kleiner zu
stellen, konnten wir hören, wie Hester sich im Bad übergab.
»Es ist doch dieser Traum, oder?« fragte ich ihn. Er rührte
geistesabwesend in der Tomatensauce. »Sagt Pastor Merrill, daß Gott will, daß
du nach Vietnam gehst?« fragte ich weiter. »Sagt Father Findley dir das ?«
»SIE SAGEN, ES SEI NUR EIN TRAUM«, sagte
Owen Meany.
»Das sag ich auch – und ich weiß nicht
mal, was für ein Traum das ist, aber ich sag dir, es ist nur ein Traum«, meinte
ich.
»ABER DU HAST KEINEN GLAUBEN«, gab er
zurück. »DAS IST DAS PROBLEM BEI DIR.«
Aus dem Bad klang Hester wie an Silvester; die Tomatensauce köchelte
vor sich hin.
Owen Meany konnte eine Ruhe an den Tag legen, die mir schon immer
ein wenig unheimlich gewesen war; wenn er sich beim Üben des Dunking so
verhielt, mochte ich ihn nicht anfassen – wenn ich ihm den Ball zuwarf, fühlte
ich mich nicht wohl; und wenn ich ihn berühren mußte, wenn ich ihn hochhob,
dann hatte ich immer das Gefühl, ein Wesen in der Hand zu halten, das nicht
ganz menschlich war, nicht ganz wirklich. Es hätte mich nicht überrascht, wenn
er sich in der Luft oder in meinen Händen gedreht und mich gebissen hätte; oder
wenn er – nachdem ich ihn hochgehoben hatte – einfach davongeflogen wäre.
»Es ist nur ein Traum«, wiederholte ich.
[655] »ES IST NICHT DEIN TRAUM «, sagte Owen
Meany.
»Sei doch nicht albern«, sagte ich, »und spinn nicht rum.«
»ICH SPINNE NICHT RUM«, erwiderte er, »HÄTTE ICH MICH VIELLEICHT UM DEN EINSATZ IN EINER KAMPFTRUPPE
BEMÜHT, WENN ICH NUR RUMSPINNEN WÜRDE?«
Ich fing nochmals an. »In diesem Traum, bist du da ein Held?«
»ICH RETTE DIE KINDER«, sagte er. »ICH RETTE VIELE KINDER.«
»Kinder?« fragte ich verblüfft.
»IM TRAUM«, sagte er. »ES SIND KEINE SOLDATEN, SONDERN KINDER.«
»Vietnamesische Kinder?«
»DESHALB WEISS ICH, WO ICH BIN – ES SIND GANZ SICHER
VIETNAMESISCHE KINDER, UND ICH RETTE
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