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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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eine
kleine Abschiedsfeier für ihn; Hester und Großmutter schnieften ein wenig, doch
im großen und ganzen war es ein fröhliches Fest; Dan Needham – unser Historiker – tat langwierige und ergebnislose Überlegungen kund, ob Fort Benjamin Harrison
nach William Henry Harrisons Vater oder nach seinem Enkel benannt wurde; Dan
erging sich weiterhin in Spekulationen über die Ursprünge des Wortes »Hoosier«,
von dem wir alle wußten, daß es ein Spitzname für die Bevölkerung von Indiana
war – doch niemand wußte, was »Hoosier« sonst noch bedeutete. Dann mußte Owen
sich in den dunklen Geheimgang stellen, während Mr.   Fish, zu laut, jene Passage
rezitierte, die Owen in Shakespeares Julius Caesar immer so bewundert hatte.
    »›Der Feige stirbt schon vielmal, eh er stirbt, die Tapfern kosten
einmal nur den Tod‹«, deklamierte Mr.   Fish.
    »ICH WEISS! ICH WEISS! MACHT DIE TÜR AUF!« schrie
Owen Meany.
    »›Von allen Wundern, die ich je gehört, scheint mir das größte, daß
sich Menschen fürchten, da sie doch sehn, der Tod, das Schicksal aller, kommt,
wann er kommen soll.‹«
    »SCHON GUT! ES REICHT! ICH HAB KEINE ANGST – ABER HIER SIND SO
VIELE SPINNWEBEN! MACHT DIE TÜR AUF !« schrie Owen.
    Vielleicht hatte ihn die Dunkelheit dazu angeregt, darauf zu [681]  bestehen, daß Hester und ich mit ihm nach oben
auf den Dachboden gingen. Er wollte, daß wir uns mit ihm in Großvaters
Wandschrank stellten; doch diesmal spielten wir nicht das Gürteltierspiel – wir
hatten keine Taschenlampe –, und wir mußten auch nicht befürchten, daß Hester
nach unseren Doinks grabschte. Owen wollte nur, daß wir einen Augenblick
dastanden, im Dunkeln.
    »Wozu tun wir das?« fragte Hester.
    »PSSST! STELLEN WIR UNS IM KREIS AUF UND REICHEN UNS
DIE HÄNDE !« befahl er. Wir taten, was er sagte; Hesters Hand war
viel größer als die von Owen.
    »Und jetzt?« flüsterte Hester.
    »PSSST !« machte Owen. Wir atmeten den
Geruch der Mottenkugeln ein; die alten Kleider schoben sich gegeneinander – die
Gestelle der alten Schirme waren so rostig, daß man die Dinger sicherlich
niemals mehr aufbekam; und die Ränder der alten Hüte waren so steif, daß sie
kaputtgehen würden, wenn jemand versuchte, sie wieder in ihre alte Form zu
bringen. » HABT KEINE ANGST «, sagte Owen Meany.
Das war alles, was er uns zu sagen hatte, ehe er nach Indiana ging.
    Es dauerte ein paar Wochen, bis Hester und ich etwas von ihm hörten;
ich glaube, in Fort Benjamin Harrison hatte er eine ganze Menge zu tun. An
manchen Abenden sah ich Hester auf der Strandpromenade von Hampton Beach; meist
hatte sie einen Begleiter – selten den gleichen, und ihn mir vorzustellen kam
ihr offenbar nie in den Sinn.
    »Hast du schon was von ihm gehört?« fragte ich sie dann.
    »Noch nicht«, antwortete sie. »Und du?«
    Schließlich hörten wir beide gleichzeitig von ihm; seine ersten
Briefe waren nichts Besonderes – er klang eher gelangweilt als begeistert.
Hester und ich verbrachten wahrscheinlich mehr Zeit damit, über seine Briefe zu reden, als Owen zum Schreiben gebraucht hatte.
    [682]  Es gab da einen Major, der ihn ins Herz geschlossen hatte; Owen erzählte,
daß seine Artikel und die Arbeit als Chefredakteur für The
Grave ihn besser auf das vorbereitet hatten, was die Armee von ihm zu
wollen schien, als alles, was er im ROTC oder in der Grundausbildung gelernt hatte. Hester und ich fanden, er klinge
niedergeschlagen. Er schrieb nur: »JEDEN TAG GIBT ES UNHEIMLICH VIEL
ZU SCHREIBEN.«
    Etwa im zweiten Monat nach seiner Abreise wurden seine Briefe
munterer. Er war jetzt optimistischer in bezug auf seine Zukunft; er hatte sehr
positiv von Fort Huachuca, Arizona, reden hören. In Fort Benjamin Harrison
wurde ihm gesagt, mit Fort Huachuca habe er ein gutes Los gezogen; er würde
dort verschiedene Verwaltungsaufgaben wahrnehmen – man hatte ihm zu verstehen
gegeben, daß der Major General dort »flexibel« sei,
was Veränderungswünsche betraf; er war dafür bekannt, daß er seinen Untergebenen
schon bei Versetzungsgesuchen geholfen hatte.
    Als ich im Herbst 1966 mit dem Graduiertenstudium begann, suchte ich
noch immer nach einem Zimmer in Durham – oder Newmarket, das zwischen Durham
und Gravesend liegt. Ich suchte nur halbherzig, mußte mir jedoch – mit
vierundzwanzig – eingestehen, daß Owen recht hatte: daß ich zu alt war, um noch
bei meiner Großmutter oder meinem Stiefvater zu wohnen.
    »Zieh doch zu mir«, schlug Hester vor. »Du

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