Owen Meany
DIE LÄDEN UND
DIE MESSEN UND DIE LAGERHALLEN, DIE FAHRZEUGE, DIE SUPERMÄRKTE UND DIE
MUNITIONSLAGER. MITTLERWEILE KANN ICH DIE ALARMVORSCHRIFTEN SCHON AUSWENDIG – ›BEI EINEM DROHENDEN ATOMAREN ANGRIFF SIND ZU VERSTÄNDIGEN…‹ UND SO WEITER.
WENN ICH GLÜCK HABE, WIRD LAHOAD MICH ZUM BARKEEPER
BEI SEINEN PARTIES MACHEN – BEI DER LETZTEN PARTY HAB ICH SEINER REICHLICH
AUFGEDONNERTEN FRAU DIE GANZE NACHT GETRÄNKE GEBRACHT; KONNTE SIE ZWAR NICHT ABFÜLLEN, ABER MEINE
AUFMERKSAMKEIT HAT IHR GEFALLEN. SIE FINDET MICH ›GOLDIG‹ – DEN TYP FRAU KENNST
DU JA. ICH GLAUB, WENN ICH SEIN ADJUTANT WERDE – WENN ICH DAS SCHAFFE –, DANN
WIRD ER MEIN VERSETZUNGSGESUCH WOHLWOLLEND BEHANDELN. DAS WÄRE VIELLEICHT EIN
SCHLAG FÜR DIE PERSONALABTEILUNG – DIE WÜRDEN MICH VERMISSEN! HEUTE HAB ICH
EINEM KAPLAN URLAUB GEGEBEN UND EINER HYSTERISCHEN MUTTER GEHOLFEN, IHREN SOHN
BEI EINER FERNMELDEGRUPPE AUFZUSPÜREN – OFFENSICHTLICH HATTE DER BÖSE BUBE
NICHT NACH HAUSE GESCHRIEBEN.
A PROPOS NACH HAUSE: ICH WERDE MIR ÜBER WEIHNACHTEN
ZEHN TAGE URLAUB NEHMEN!«
Und so warteten Hester und ich auf ihn. In diesem Oktober
besuchte Präsident Johnson die amerikanischen Truppen in Vietnam; doch von Owen
Meany erhielten wir keine weitere [686] Nachricht,
was seine Bemühungen um eine Versetzung anbelangte. Owen sagte nur: » MAJOR GENERAL LAHOAD IST DER
SCHLÜSSEL. EINE HAND WÄSCHT DIE ANDERE…«
Erst im Dezember bemerkte er beiläufig, daß er wieder einen
Personalfragebogen nach Washington geschickt habe, in dem er um seine
Versetzung nach Vietnam bat; diese Fragebögen, jeder einzelne, den er
losschickte, wurden auf dem Dienstweg weitergeleitet – auch Major General LaHoad bekam sie zu sehen. Im Dezember hatte LaHoad Owen
als Rückführungsoffizier in der Personalabteilung eingestellt.
Offensichtlich hatte Owen einen positiven Eindruck auf eine
trauernde Familie in Arizona gemacht, die Verbindungen zum Pentagon hatte; auf
dem Dienstweg hatte der Major General ein
Belobigungsschreiben erhalten – die Rückführungsabteilung vom Fort Huachuca
konnte stolz sein: ein Second Lieutenant Paul O.
Meany, Jr. hatte den Eltern eines Lieutenant der
Infanterie, der in Vietnam gefallen war, großen Trost gespendet. Bei der
Übergabe der Silver-Star-Medaille an den nächsten Angehörigen hatte Owen
besonders bewegend gesprochen. LaHoad hatte Owen persönlich gratuliert.
Im Fort Huachuca bestand die Rückführungsabteilung aus Second
Lieutenant Paul O. Meany, Jr. und einem Staff Sergeant Mitte
dreißig und »EIN MÜRRISCHER KARRIERETYP«, wie Owen
ihn beschrieb; doch dessen italienische Frau kochte Nudelgerichte, »DIE GEGENÜBER DENEN VON HESTER SO TOLL SIND, DASS MAN DEM STAFF SERGEANT DAFÜR SOGAR
HIN UND WIEDER ZUHÖREN KANN«. In der Rückführungsabteilung wurden
die beiden von einem »DREIUNDZWANZIGJÄHRIGEN SPEC5 UND EINEM
ZWEIUNDZWANZIGJÄHRIGEN SPEC4« unterstützt.
»Er könnte genausogut über Insekten reden – ich versteh kein Wort!«
sagte Hester. »Was zum Teufel ist ein ›Spec4‹ und ein ›Spec5‹ –, und wieso
kommt er auf die Idee, daß wir wissen, wovon er redet?«
[687] Ich schrieb ihm zurück. »Was
macht ein Rückführungsoffizier eigentlich?« fragte ich ihn.
An den Wänden der Rückführungsabteilung im Fort Huachuca, schrieb
Owen, hingen Landkarten von Arizona und Vietnam – und eine Liste von Soldaten
aus Arizona, die Kriegsgefangene oder vermißt waren, und daneben standen die
Namen der nächsten Angehörigen. Wenn die Leiche eines Soldaten aus Arizona aus
Vietnam ankam, mußte er nach Kalifornien und die Leiche heimbegleiten – die
Leiche, erklärte Owen, mußte von einem Soldaten gleichen oder höheren Ranges
begleitet werden; so konnte die Leiche eines einfachen Soldaten von einem Sergeant begleitet werden, und ein Second Lieutenant würde die Leiche eines anderen Second Lieutenant begleiten oder (zum Beispiel) die eines Warrant Officer.
»Hester!« sagte ich. »Er bringt Leichen heim! Er ist derjenige, der die Gefallenen heimbringt!«
»Das Arbeitsfeld paßt ja gut zu ihm«, meinte Hester. »Jedenfalls ist
er mit der Materie schon vertraut.«
Mein »Arbeitsfeld« schien Lesen zu sein; mein Ehrgeiz reichte nicht
über die Auswahl meines Lesematerials hinaus. Das Graduiertenstudium gefiel mir
ausnehmend gut; auch meine erste Anstellung als Lehrer machte mir ungeheuer
Spaß, und doch hatte ich das Gefühl, nichts besonders Aufregendes zu tun. Schon
allein beim Gedanken daran,
Weitere Kostenlose Bücher