Owen Meany
Leichen den nächsten Angehörigen zu übergeben, lief
es mir kalt den Rücken runter.
In sein Tagebuch schrieb er: » DAS BÜRO DER
RÜCKFÜHRUNGSABTEILUNG LIEGT IN DEM TEIL DES KOMPLEXES, DER DIREKT NACH JOHN
JOSEPH ›BLACKJACK‹ PERSHINGS EXPEDITION GEGEN PANCHO VILLA ERRICHTET WURDE – DAS GEBÄUDE IST ALT, MIT STUCK VERZIERT, UND DIE MINZGRÜNE FARBE AN DER DECKE
BRÖCKELT AB. AN DER WAND HÄNGT EIN PLAKAT MIT ALLEN MEDAILLEN, DIE DIE ARMEE
VERLEIHT. MIT EINEM FETTSTIFT SCHREIBEN WIR DIE NAMEN DER OPFER DER JEWEILIGEN [688] WOCHE AUF ZWEI PLASTIKTAFELN, NEBEN DIE NAMEN DER
KRIEGSGEFANGENEN AUS ARIZONA. FÜR DIE ARMEE BIN ICH EIN ›RÜCKFÜHRUNGSOFFIZIER‹;
TATSÄCHLICH BIN ICH EIN LEICHENBEGLEITER.«
»Meine Güte! Erzähl mir alles ganz genau!« sagte ich, als er über
Weihnachten nach Hause kam.
»UND WIE GEFÄLLT DIR DAS STUDIUM ?«
fragte er mich. »UND WIE MACHT ER SICH ALS MITBEWOHNER ?«
fragte er Hester. Er war braungebrannt und sah gestählt aus; vielleicht lag es
am vielen Tennis. An der Uniform hatte er nur eine Medaille.
»DIE KRIEGT JEDER !« sagte Owen Meany.
An seinem linken Ärmel war ein Abzeichen, dem man seinen Standort entnehmen
konnte, und an jeder Schulterklappe hatte er einen Messingstreifen, an dem man
seinen Rang als Second Lieutenant erkennen konnte; an
jeder Kragenspitze hatte er die US -Insignien aus
Messing und das Emblem des Adjutant General’s Corps. Das Namensschild MEANY war an seine Brust geheftet – sonst hatte er keinerlei Abzeichen, nichts.
»KEIN ÜBERSEE-ABZEICHEN – AN MIR GIBT’S NICHT VIEL ZU
SEHEN «, meinte er schüchtern; und Hester und ich hatten nur Augen
für ihn.
»Stecken sie echt in Plastiksäcken – die Leichen?« fragte Hester.
»Mußt du den Inhalt der Plastiksäcke kontrollieren?« wollte ich
wissen.
»Sind da manchmal nur Teile vom Kopf und einzelne Finger oder Zehen
drin?« fragte Hester.
»Das wird doch deine Meinung irgendwie beeinflussen – daß du auch
rüberwillst?« meinte ich.
»Flippen die Eltern aus?« wollte Hester wissen. »Und die Ehefrauen – mußt du mit den Frauen reden?«
Er sah so schrecklich gelassen aus – wir kamen uns vor, als hätten
wir die Schule nie verlassen; und das stimmte natürlich auch.
»SO KOMM ICH NACH KALIFORNIEN«, sagte
er nüchtern. »ICH [689] FLIEGE NACH
TUCSON. ICH FLIEGE NACH OAKLAND – AM STÜTZPUNKT OAKLAND BEKOMMT MAN SEINEN
LEICHENPLAN.«
»Was zum Teufel ist ein ›Leichenplan‹?« fragte Hester, doch er
ignorierte die Frage.
»MANCHMAL FLIEG ICH AUCH VON SAN FRANCISCO AUS
ZURÜCK«, sagte er. »JEDENFALLS MUSS ICH DEN CONTAINER
IN DER FRACHTHALLE KONTROLLIEREN – UNGEFÄHR ZWEI STUNDEN VOR DEM ABFLUG.«
»Du kontrollierst den Plastiksack?« fragte ich ihn.
»ES IST EINE KISTE AUS SPERRHOLZ«, sagte
er. »ES GIBT KEINEN SACK. DIE LEICHE IST EINBALSAMIERT.
SIE LIEGT IN EINEM SARG. IN KALIFORNIEN KONTROLLIERE ICH NUR DIE HOLZKISTE.«
»Wozu?« wollte ich wissen.
»OB SIE LECKT«, gab er zurück. Hester
sah aus, als müsse sie sich gleich übergeben. »UND AN DIE
KISTE SIND ZETTEL GEHEFTET – UND DIE VERGLEICHE ICH MIT MEINEN UNTERLAGEN. UND
IN ARIZONA, IM BESTATTUNGSRAUM – DA ÜBERPRÜFE ICH DIE LEICHE «,
sagte er.
»Ich will nichts mehr davon hören«, sagte Hester.
»WIE DU WILLST «, meinte er; er zuckte
mit den Schultern.
Als wir Hester verließen – als wir in die Turnhalle der Gravesend
Academy fuhren, um den Schuß zu üben, fragte ich ihn noch mal nach den Leichen.
»NORMALERWEISE REDET MAN MIT DEM BESTATTER, OB DIE
LEICHE ZUM ANSCHAUEN GEEIGNET IST – OB DIE FAMILIE SIE SEHEN KANN ODER NICHT«, erklärte
er. »MANCHMAL MÖCHTE DIE FAMILIE, DASS MAN DABEI IST – SIE SPÜREN, DASS MAN DAZUGEHÖRT. MANCHMAL HAT MAN DAS GEFÜHL, ES WÄRE BESSER,
IHNEN AUS DEM WEG ZU GEHEN – DAS MUSS MAN NACH GEFÜHL MACHEN, UND DANN MUSS MAN
DIE FAHNE FALTEN – DIE FAHNE WIRD NORMALERWEISE DER MUTTER ÜBERGEBEN; ODER DER
EHEFRAU, WENN ES EINE GIBT, UND DANN MUSS MAN EINE KURZE ANSPRACHE HALTEN.«
[690] »Und
was sagst du da?« fragte ich ihn.
Er dribbelte mit dem Basketball, und fast unmerklich nickte er
jedesmal, wenn der Ball auf dem Boden aufprallte, den Blick hatte er dabei
unverwandt auf den Korb gerichtet. »› ES IST MIR EINE
EHRE, IHNEN IN TIEFER DANKBARKEIT FÜR DIE VERDIENSTE IHRES SOHNES UM UNSERE
NATION DIE FAHNE UNSERES LANDES ÜBERREICHEN ZU DÜRFEN‹ – NATÜRLICH SAGT MAN
›IHRES EHEMANNES‹, WENN MAN DIE FAHNE DER EHEFRAU ÜBERGIBT «,
fügte er
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