Owen Meany
hinzu.
»Natürlich«, sagte ich; er warf mir den Ball zu.
»FERTIG ?« fragte er. Er kam bereits auf
mich zu – war schon zum Sprung bereit und sah vor seinem geistigen Auge den
Ball bereits im Netz – als ich ihm den Ball wieder zurückwarf.
Es waren kurze Tage und Nächte; wir versuchten uns daran zu
erinnern, welcher Regierungssprecher gesagt hatte, die Operation Rolling Thunder »kreise Hanoi langsam ein«. Das hatte Owen zu
der Bemerkung veranlaßt: » ICH GLAUBE, HANOI WIRD DAMIT
FERTIG.«
Laut State Department – laut Dean Rusk – waren wir dabei, »einen
Zermürbungskrieg zu gewinnen«. Das hatte Owen zu der Bemerkung veranlaßt: » SO EINEN KRIEG GEWINNEN WIR NICHT.«
Er hatte seine Meinung über unsere Vietnampolitik zum Teil
revidiert. Einige Kriegsveteranen, die er im Fort Huachuca kennengelernt hatte,
hatten ihn davon überzeugt, daß Marshall Ky früher beliebt gewesen war, doch jetzt erhielt der Vietkong Unterstützung von der
südvietnamesischen Landbevölkerung – weil sich unsere Truppen aus den
besiedelten Gebieten zurückgezogen hatten und ihre Zeit damit verschwendeten,
die Nordvietnamesen durch den Dschungel und die Berge zu jagen. Owen wollte
wissen, warum unsere Truppen nicht wieder in die besiedelten Gebiete
zurückgingen und darauf warteten, daß die Nordvietnamesen und der Vietkong zu ihnen kamen. Wenn sie [691] Südvietnam
»beschützten«, warum blieben sie dann nicht bei den
Menschen und beschützten sie?
Andererseits war es verwirrend, weil viele der Vietnamveteranen, die
Owen kennengelernt hatte, der Meinung waren, wir sollten »alles dransetzen« und
Nordvietnam noch heftiger bombardieren, die Häfen
verminen und nördlich der entmilitarisierten Zone einen Angriff vom Meer her
starten, um den Nachschub für die nordvietnamesische Armee zu unterbinden – kurz, wir sollten um den Sieg kämpfen. Man konnte nicht sagen, was wir wirklich
tun sollten, wenn man nicht selber hinging und sich das Ganze ansah, meinte
Owen, doch er fand den Versuch, einen konventionellen Krieg gegen Nordvietnam
zu gewinnen, dumm. Wir sollten in Südvietnam bleiben und die südvietnamesische
Bevölkerung vor Angriffen der Nordvietnamesen und des Vietkong beschützen – bis
zu dem Zeitpunkt, an dem die Südvietnamesen eine eigene Armee und, wichtiger
noch, eine Regierung auf die Beine stellten, die so stark war, daß sie sich
selbst verteidigen konnten.
»Dann werden die Südvietnamesen Nordvietnam ganz alleine angreifen
können – meinst du das?« fragte Hester ihn. »Du klingst genauso unlogisch wie
Lyndon B.«, sagte sie. Hester sagte niemals »Präsident Johnson«.
Was Präsident Johnson anbelangte, so meinte Owen: » WIR HATTEN NOCH NIE EINEN SCHLECHTEREN PRÄSIDENTEN – ES KÖNNTE GAR KEINEN SCHLECHTEREN GEBEN, ES SEI DENN, SIE WÄHLEN MACNAMARA.«
Hester redete über die »Friedensbewegung«.
» WAS FÜR EINE ›FRIEDENSBEWEGUNG‹? – ODER MEINST DU DIE DRÜCKEBERGER-BEWEGUNG ? DAS IST DIE EINZIGE ›BEWEGUNG‹, VON DER ICH WEISS«, meinte
Owen Meany.
Unsere Gespräche verliefen genau wie der Krieg; sie führten
nirgendwohin. Ich übernachtete nicht mehr in Hesters Wohnung, damit er ein paar
Nächte mit Hester allein sein konnte – ich [692] weiß
nicht, ob sie es zu schätzen wußten. Ich hatte ein paar vergnügliche Abende mit
Dan und Großmutter.
Ich hatte Großmutter dazu überredet, über Weihnachten mit mir im Zug
nach Sawyer Depot zu fahren; Großmutter hatte sich eigentlich in den Kopf
gesetzt, nicht mehr mit dem Zug zu fahren. Wir hatten abgemacht, daß Dan den
Nachtzug von Gravesend nehmen würde, nach der letzten Abendvorstellung von Ein Weihnachtslied. Und Tante Martha und Onkel Alfred
hatten Hester überredet, Owen über Weihnachten doch nach Sawyer Depot
mitzubringen – so nachhaltig hatte er die beiden beeindruckt. Hester drohte
ständig, diese überschwenglichen Wiedersehenspläne zu durchkreuzen; ich glaube,
sie hatte nur Owen zuliebe zugestimmt, nach Hause zu kommen – zumal an
Weihnachten.
Dann fielen die ganzen Pläne ins Wasser. Niemand hatte bemerkt, wie
schlecht die Zugverbindungen geworden waren; es stellte sich heraus, daß man
von Gravesend nicht mehr nach Sawyer Depot gelangen konnte – und an
Weihnachten, sagte der Bahnhofsvorsteher zu Dan, könne man nirgendwohin kommen! Und so verbrachten wir wieder einmal das
Weihnachtsfest allein. Am Tag vor Weihnachten übten Owen und ich in der
Turnhalle der Gravesend Academy den Schuß, und er erzählte
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