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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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wenn Sie mir völlig fremde Leute ins
Haus schicken, dann rufen Sie mich doch wenigstens vorher an!«
    »Jawohl, Mrs.
Wheelwright!« erwiderte Dominic stets. Und rief dann Dan an, um sich bei
dem zu beschweren; sogar mich hat er ein paarmal angerufen – in Toronto!
    »Ich mache mir allmählich Sorgen um Ihre Großmutter, John«, meinte
Dominic.
    Zu dieser Zeit waren Großmutter bereits alle Haare ausgegangen. Sie
besaß eine Kommode voller Perücken, und sie machte Ethel – und einer Reihe von
Ethels Nachfolgerinnen – Vorhaltungen, sie würden die Perücken nicht nur
stümperhaft auf ihrem alten, kahlen Kopf anbringen, sondern sie obendrein
achtlos in die Kommode werfen. Großmutter entwickelte eine solche Verachtung
für Ethel – und für ihre unfähigen Nachfolgerinnen – daß sie mit beachtlicher
Gerissenheit Pläne ausheckte, um die in ihren Augen ohnehin schon
beklagenswerten Fähigkeiten der Dienstmädchen in noch ungünstigerem Licht
erscheinen zu lassen. Die Mädchen waren ihr absolut nicht gewachsen. Großmutter versteckte ihre Perücken so, daß diese unglücklichen
Geschöpfe sie nicht finden konnten; und dann beschimpfte sie die armen Dinger,
sie hätten ihren lebenswichtigen Kopfschmuck verschlampt.
    »Erwarten Sie denn tatsächlich, daß ich wie ein vertrotteltes, [711]  kahlköpfiges altes Weib, das aus dem Zirkus
entlaufen ist, durchs Leben gehe?« fragte sie immer.
    »Wo haben Sie Ihre Perücken denn hingelegt, Mrs.   Wheelwright?«
fragten die Mädchen zurück.
    »Wollen Sie mich etwa beschuldigen, ich wolle absichtlich das Aussehen des irrsinnig gewordenen Opfers einer atomaren
Katastrophe annehmen?« erwiderte darauf meine Großmutter. »Lieber ließe ich
mich von einem Wahnsinnigen hinmeucheln, als kahlköpfig herumzulaufen!«
    Zusätzliche Perücken wurden angeschafft; die meisten – keineswegs
jedoch alle – alten Perücken tauchten wieder auf. Wenn Großmutter eine Perücke
ganz besonders mißfiel, zog sie sie aus dem Verkehr, indem sie sie in der
Vogeltränke im Rosengarten versteckte.
    Und als die Poggios weiterhin völlig fremde Personen zu ihr
schickten, die darauf aus waren, sie zu erschrecken, begann Harriet Wheelwright
ihrerseits, diese unerwünschten Besucher zu erschrecken. Sie flitzte – schneller als Ethel beziehungsweise ihre Nachfolgerinnen – zur Tür, riß sich
zur Begrüßung der Boten die Perücke vom Kopf und schrie sie mit kahlem Kopf an.
    Dominic Poggios arme Enkel! Wie sie sich darum stritten, nicht die Lebensmittel in die Front Street bringen zu müssen.
    Kurz nach dem vierten oder fünften derartigen Zwischenfall rief Dan
mich in Toronto an und meinte: »Es ist wegen deiner Großmutter. Du weißt, wie sehr ich sie liebe. Aber ich glaube, es ist
Zeit.«
    Selbst in diesem August erheiterte die Erinnerung an jene Zeit Dan
Needham und mich. Es war bereits spät, und wir hatten wie gewöhnlich ziemlich
viel getrunken.
    »Weißt du was?« begann Dan. »Da sind immer noch all die Marmeladen-
und Geleegläser und ein paar einfach scheußliche Sachen, die sie eingekocht hat – die stehen noch in den Regalen im
Geheimgang!«
    [712]  »Nein, wirklich?« entgegnete
ich.
    »Doch, ganz bestimmt! Sieh selbst nach«, sagte Dan. Er versuchte,
aus dem Sessel aufzustehen – um die Mysterien des Geheimgangs mit mir zu
erkunden –, verlor aber bei dem Bemühen hochzukommen das Gleichgewicht und fiel
mit einem Ausdruck des Bedauerns zurück in den Sessel. »Sieh selbst nach!«
wiederholte er mit einem Rülpsen.
    Es war nicht ganz einfach, die versteckte Tür zu öffnen; ich glaube,
sie war schon jahrelang nicht mehr aufgemacht worden. Als ich mit dem Schlüssel
im Schloß herumfummelte, stieß ich ein paar Bücher von den Regalbrettern, die
an der Tür angebracht waren. Mir fiel wieder ein, wie Germaine sich einmal
ebenso ungeschickt angestellt hatte – als Lydia gestorben war und Germaine den
Geheimgang gewählt hatte, um sich vor dem Tod zu verstecken.
    Dann ging die Tür auf. Der Geheimgang war dunkel; dennoch nahm ich
wahr, wie Spinnen hin und her huschten. Überall hingen Spinnweben. Mir fiel
ein, wie ich Owen im Geheimgang eingesperrt hatte und er schrie, irgend etwas
Feuchtes lecke an ihm herum – er dachte nicht an eine Spinnwebe, sondern an
etwas mit einer ZUNGE . Mir fiel auch wieder ein, wie
wir ihn während seiner Abschiedsparty hier eingesperrt hatten, als Mr.   Fish die
Verse aus Julius Caesar vortrug – direkt vor der
geschlossenen Tür. »Der Feige stirbt

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