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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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den rechten Nasenflügel hat sie sich ein Loch
stechen lassen.
    »Sind Sie katholisch?« hat sie einmal ein Reporter gefragt.
    »Machen Sie Witze?« entgegnete Hester.
    Jemand wie ich, der Englisch als Hauptfach studiert hat, muß
allerdings zugeben, daß Hester wenn schon kein Ohr für Musik, so doch eines für
den Klang von Titeln hat.
    »Drivin’ with No
Hands«; »Gone to Arizona«; »No Church, No Country, No More«; »Just Another Dead
Hero«; »I Don’t Believe in No Soul«; »You Won’t See Me at His Funeral«; »Life
After You«; »Why the Boys Want Me«; »Your Voice Convinces Me«; »There’s No
Forgettin’ Nineteen Sixty-Eight«.
    Ich muß zugeben, Hesters Titel sind eingängig; und sie hat
genausogut wie ich das Recht, das Schweigen zu interpretieren, das Owen
zurückgelassen hat. Man kann allerdings nicht von totalem »Schweigen« sprechen;
mir gegenüber hat er sich nicht in vollkommenes Schweigen gehüllt. Zweimal hat
er mich von sich hören lassen – und zwar, nachdem er
gestorben war.
    Das letzte Mal – im August dieses Jahres – habe ich auf eine Weise
von ihm gehört, die typisch für ihn ist; das heißt auf eine Weise, die für
Deutungen offen ist.
    Ich befand mich in unserem Haus in der Front Street, und es war
bereits spät in der Nacht; und ich muß zugeben, daß meine Wahrnehmungsfähigkeit
beeinträchtigt war, denn Dan Needham und ich hatten Urlaub – und zuviel
getrunken. Wir kramten die Erinnerungen daran hervor, was wir, vor Jahren,
unternommen hatten, damit Großmutter so lange wie möglich hier in der Front
Street wohnen bleiben konnte; wir erinnerten uns an die Vorfälle, die uns
schließlich doch dazu bewogen hatten, Großmutter im Seniorenwohnheim von
Gravesend unterzubringen. Es war uns nicht leichtgefallen, doch sie ließ uns
keine Wahl; sie trieb Ethel zum Wahnsinn – es war unmöglich, ein Hausmädchen
oder eine [709]  Krankenschwester zu finden, die
Großmutter nicht zum Wahnsinn getrieben hätte. Nachdem Owen Meany von uns
gegangen war, gab es niemanden mehr, der Harriet Wheelwrights Ansprüchen an
Personen, die als Gesellschaft für sie in Frage kamen, genügt hätte.
    Seit Jahren waren ihr die Lebensmittel von den Poggios ins Haus
geliefert worden – von Dominic Poggio und seinem verstorbenen Bruder, an dessen
Namen ich mich nicht mehr erinnern kann. Dann stellten die Poggios ihren
Zustellservice generell ein. Aus Anhänglichkeit und Dankbarkeit – meine
Großmutter war ihre älteste Kundin und zugleich die einzige, die ihre Rechnungen
stets pünktlich bezahlte – machte Dominic Poggio ihr das großherzige Angebot,
ihr die Lebensmittel weiter ins Haus zu liefern.
    War Großmutter Dominic für dieses großzügige Angebot dankbar? Sie
war mehr als un dankbar; sie hatte sogar vergessen,
daß die Poggios niemand anders mehr belieferten – daß sie ihr einen besonderen
Gefallen taten. Harriet Wheelwright war daran gewöhnt, daß ihr die Leute
besondere Gefallen erwiesen; Großmutter nahm eine solche Sonderbehandlung als
selbstverständlich hin. Und sie war nicht nur undankbar; sie beklagte sich auch
noch. Beinahe täglich rief sie Dominic Poggio an und hielt ihm vor, sein
Service würde immer schlechter. Vor allem beschwerte sie sich, er schicke
»völlig fremde« Jungen zu ihr. Doch weit gefehlt; Dominic Poggio schickte seine
Enkel – Großmutter hatte einfach vergessen, wer sie waren und daß sie ihr schon
seit Jahren die Lebensmittel brachten. Außerdem, beschwerte sie sich, würden
diese »völlig Fremden« sie erschrecken – ihr liege nicht das Geringste an Überraschungen,
rief sie dem armen Dominic ins Gedächtnis.
    Ob die Poggios sie nicht anrufen konnten, ehe sie mit ihren
überraschenden Lieferungen ankamen, fragte Großmutter. Dann wäre sie wenigstens
vorgewarnt, daß die fremden Kerle unterwegs waren.
    [710]  Dominic willigte ein. Er war ein
netter Mensch, und er verehrte meine Großmutter; außerdem war er wahrscheinlich
dem Trugschluß erlegen, sie würde bald das Zeitliche segnen – so daß er diese
lästige Verpflichtung bald wieder los war.
    Doch Großmutter dachte nicht daran zu sterben. Wenn die Poggios
anriefen und ihr mitteilten, daß jemand zu ihr unterwegs war, dann bedankte sie
sich höflich, legte den Hörer auf und vergaß auf der Stelle wieder, daß gleich
jemand kommen würde – und auch, daß man sie vorgewarnt hatte. Wenn die Jungen
sie dann »erschreckten«, rief sie sofort wutentbrannt Dominic an und beschwerte
sich: »Also,

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