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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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schon vielmal, eh er stirbt, die Tapfern
kosten einmal nur den Tod« – und so weiter. Und mir fiel wieder ein, wie Owen
und ich Germaine da drinnen erschreckt hatten – und zuvor die arme Lydia.
    Eine Menge Erinnerungen an vergangene Zeiten lauerten in den
Spinnweben im Geheimgang; ich tastete nach dem Lichtschalter, doch ich fand ihn
nicht. Ich wollte die dunklen Gegenstände in den Regalen nicht berühren, ohne
sehen zu können, was ich anfaßte.
    Dann schloß Dan Needham die Tür hinter mir.
    [713]  »Mach keinen Mist, Dan!« schrie
ich und konnte ihn lachen hören. Ich streckte den Arm ins Dunkel. Meine Hand
berührte eines der Regalbretter; ich tastete mich, durch Spinnweben hindurch,
daran entlang in Richtung Tür. Ich glaubte, daß der Lichtschalter in der Nähe
der Tür war. Dann berührte meine Hand etwas Schreckliches. Es gab nach, fühlte sich lebendig an – ich mußte an ein Nest voll neugeborener
Ratten denken! – und ich wich mit einem Aufschrei zurück.
    Was ich berührt hatte, war eine der von Großmutter versteckten
Perücken; doch das wußte ich nicht. Ich wich zu weit zurück, bis direkt an die
oberste Stufe der langen Treppe; ich spürte, wie ich das Gleichgewicht verlor
und hinabzustürzen drohte. Im Handumdrehen hatte ich das Bild vor Augen, wie
Dan auf dem Lehmboden drunten am Fuß der Treppe meine Leiche entdeckte – doch
da führte eine kleine, kräftige Hand (oder etwas wie
eine kleine, kräftige Hand) meine Hand zum Lichtschalter; eine kleine, kräftige
Hand, oder so etwas Ahnliches, zog mich von der
Stelle am oberen Ende der Treppe, wo ich hin- und herschwankte, zurück. Und
seine Stimme – es war ohne jeden Zweifel Owens Stimme – sagte: » HAB KEINE ANGST, DIR WIRD NICHTS PASSIEREN.«
    Ich schrie noch einmal auf.
    Als Dan Needham die Tür öffnete, fing er an zu schreien. »Dein Haar !« schrie er. Als ich in den Spiegel sah, dachte ich,
es seien die Spinnweben – mein Haar wirkte wie mit Mehl bestäubt. Doch als ich
mir die Haare bürstete, stellte ich fest, daß sie an den Wurzeln weiß geworden
waren. Das war diesen August; inzwischen sind meine Haare völlig weiß. Ich war
bereits in dem Alter, in dem das Haar ergraut; selbst meine Schülerinnen halten
mein weißes Haar für eine Verbesserung, finden, ich wirke damit vornehmer.
    Am Morgen nachdem Owen Meany zu mir »gesprochen« hatte, sagte Dan
Needham: »Wir waren natürlich alle beide betrunken – vor allem du !«
    [714]  »Vor allem ich !« entgegnete ich ironisch.
    »Ganz richtig«, meinte Dan. »Sieh mal: Ich habe dich nie damit
aufgezogen, was du glaubst – oder? Ich werde mich nie über deine religiöse
Überzeugung lustig machen – das weißt du ja. Aber du kannst nicht erwarten, daß ich glaube, daß wirklich Owen Meanys Hand dich davor
bewahrt hat, die Kellertreppe hinunterzufallen; du kannst nicht erwarten, daß
ich davon überzeugt bin, es sei tatsächlich Owen
Meanys Stimme gewesen, die dort im Geheimgang zu dir ›gesprochen‹ hat.«
    »Dan«, sagte ich, »ich verstehe dich. Ich bin kein Missionar, kein
Prediger. Habe ich dich jemals zu bekehren versucht? Wenn ich predigen wollte, wäre ich Geistlicher geworden, dann hätte
ich eine Gemeinde – oder nicht?«
    »Ja, und ich versteh dich auch«, erwiderte Dan; doch er brachte es
nicht fertig, den Blick von meinen schneeweißen Haarwurzeln zu wenden.
    Etwas später meinte er: »Und du hast wirklich das Gefühl gehabt,
jemand würde dich zurückziehen, eine wirkliche Hand?«
    »Ich gebe zu, ich war betrunken«, räumte ich ein.
    Und noch etwas später meinte Dan: »Und es war seine Stimme – bist du dir sicher, daß du nicht etwas gehört hast, was
ich gesagt habe? Es war wirklich seine Stimme?«
    Ich antwortete ziemlich unwirsch: »Wie viele Stimmen hast du denn
schon gehört, die man mit seiner verwechseln könnte,
Dan?«
    »Nun gut, wir waren alle beide betrunken – nicht wahr? Das ist das
Entscheidende«, erklärte Dan Needham.
    Ich kann mich noch gut an den Sommer 1967 erinnern, als mein
Finger heilte – ich weiß noch genau, wie schnell er verging. Es war der Sommer,
in dem Owen Meany befördert wurde; seine Uniform hatte sich etwas verändert,
als Hester und ich ihn wiedersahen – da war er First
Lieutenant. Die Streifen auf seinen Schulterstücken waren nicht mehr
messingfarben, sondern silbern. Zu [715]  dieser
Zeit half er mir auch, mit meiner Magisterarbeit über Thomas Hardy in die Gänge
zu kommen. Ich hatte immer Schwierigkeiten, mit

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