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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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in
Vietnam tat; daneben sah ich eine Menge Amerikaner, die voller
Selbstgerechtigkeit mit einer äußerst kindischen Form von Heldentum
kokettierten – mit dem eigenen Heldentum. Sie meinten, Zusammenstöße mit Soldaten
und Polizisten zu provozieren, würde nicht nur ihnen den Status von Helden
verschaffen; diese Konfrontation würde, machten sie sich selbst vor, auch die
Korruptheit des politischen und gesellschaftlichen Systems bloßstellen, dem
sie, wie sie hochnäsig annahmen, [736]  Widerstand
leisteten. Das waren die gleichen Leute, die – in späteren Jahren – der
Antikriegs-»Bewegung« das Verdienst zusprachen, die amerikanischen Streitkräfte
schließlich zum Rückzug aus Vietnam gezwungen zu haben. Ich sah etwas anderes.
Ich sah, daß die Selbstgerechtigkeit vieler dieser Demonstranten nur dazu
beitrug, die Einstellung jener armen Irren, die den Krieg befürworteten, zu verhärten. Dadurch wird das, was Reagan – zwei Jahre
später, 1969 – sagte, so grotesk: die Protestler gegen den Vietnamkrieg würden
»den Feinden Amerikas in die Hände arbeiten«. Doch so, wie ich es sah, haben
sie Schlimmeres bewirkt; sie haben den Idioten, die den Krieg billigten, »in
die Hände« gearbeitet – sie haben den Krieg verlängert. So sah ich es. Ich brachte meinen fehlenden Finger heim nach New Hampshire und
ließ Hester allein in eine Washingtoner Polizeizelle wandern; ganz allein war
sie ja nicht – es gab Massenverhaftungen in diesem Oktober.
    Ende 1967 kam es zu Unruhen in Kalifornien und zu Unruhen in New
York; und es waren 500   000 Angehörige der amerikanischen Streitkräfte in
Vietnam. Mehr als16   000 Amerikaner waren bereits dort
gefallen. Das war der Zeitpunkt, als General Westmoreland sagte: »Wir haben
eine wichtige Phase erreicht, in der das Ende in Sicht kommt.«
    Diese Aussage hatte Owen Meany zu der Frage veranlaßt: » WELCHES ENDE?« Das Ende des Krieges würde nicht schnell genug
kommen, um Owen zu retten.
    Sein Sarg wurde natürlich sofort geschlossen; über ihm lag die
amerikanische Flagge, an die seine Medaille geheftet war. Wie jeder First Lieutenant im aktiven Dienst erhielt er ein
Begräbnis mit allen militärischen Ehren, mit Offizierseskorte und allem Drum
und Dran. Er hätte auf dem Nationalfriedhof in Arlington beigesetzt werden
können; doch die Meanys wollten, daß er in Gravesend zur letzten Ruhe gebettet
wurde. Weil er die Medaille bekommen hatte, weil die Geschichte von seiner
Heldentat in New Hampshire in allen Zeitungen gestanden hatte, wollte Rev. [737]  Dudley Wiggin – dieser Trampel –, daß Owen einen
Gottesdienst nach episkopalem Ritus erhielt; er war ein eifriger Befürworter
des Vietnamkrieges und wollte den Trauergottesdienst für Owen unbedingt in der
Christ Church abhalten.
    Ich bewegte die Meanys dazu, sich für die Hurd’s Church zu entscheiden – und Pastor Merrill den Gottesdienst halten zu lassen. Mr.   Meany war noch
immer böse auf die Gravesend Academy, weil sie Owen rausgeworfen hatte, doch
ich überzeugte ihn davon, daß Owen sich noch im Himmel empören würde, wenn die
Wiggins jemals Zugriff auf ihn bekamen.
    »Owen hat sie gehaßt «, erklärte ich Mr.
und Mrs.   Meany. »Und er hatte eine besondere Beziehung zu Pastor Merrill.«
    Das war im Sommer 1968; ich hatte es satt, mir immer wieder von
irgendwelchen Weißen anzuhören, wie Soul on Ice ihr
Leben verändert habe – ich wette, Elridge Cleaver hatte es ebenso satt –, und
Hester meinte, wenn sie noch einmal »Mrs.   Robinson« hören würde, müsse sie sich
übergeben. In diesem Frühjahr – im gleichen Monat – war Martin Luther King
ermordet worden und Hair am Broadway angelaufen; der
Sommer 1968 litt an der Mischung von Mörderischem und Trivialem, die für unsere
Gesellschaft typisch und alltäglich werden sollte.
    Es war zum Ersticken heiß im versiegelten Haus der Meanys – es
wurde, wie man mir immer sagte, luftdicht versiegelt, weil Mrs.   Meany eine
Allergie gegen Granitstaub hatte. Sie saß, den wie immer leeren Blick wie so
oft auf die kalte Asche in der Feuerstelle gerichtet, über der die
verstümmelten Figuren der weihnachtlichen Szene die leere Krippe umringten. Mr.
Meany stieß mit der schmutzigen Stiefelspitze einen der Kaminböcke an.
    »Fünfzigtausend Dollar haben sie uns gegeben!« sagte Mr.   Meany; Mrs.
Meany nickte – oder sie schien zumindest zu nicken. »Woher nehmen die nur das
Geld dafür?« fragte er mich; ich schüttelte den Kopf. Ich wußte,

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