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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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das Geld kam
von uns.
    »Ich weiß, welche Kirchenlieder Owen am liebsten hatte«, [738]  sagte ich zu den Meanys. »Und ich weiß, daß
Pastor Merrill ein passendes Gebet sprechen wird.«
    »Hat ihm ja ’ne Menge genützt, daß er so viel gebetet hat, unser
Owen!« meinte Mr.   Meany; er stieß den Kaminbock von sich.
    Später ging ich nach oben und setzte mich auf das Bett in Owens
Zimmer. Die abgebrochenen Arme der geschändeten Statue von Maria Magdalena
waren an der früher ebenso arm- wie kopflosen Schneiderpuppe meiner Mutter
befestigt. Das war ein merkwürdiger Anblick, denn die bleichen, weiß getünchten
Arme waren zu lang für die zierliche Figur meiner Mutter; aber ich vermute, daß
diese überlangen Arme in Owens Erinnerung die Zuneigung, die meine Mutter für
ihn empfunden hatte, nur noch größer erscheinen ließen. Sein Seesack lag neben
mir auf dem Bett; seine Eltern hatten ihn nicht ausgepackt.
    »Soll ich Owens Seesack auspacken?« fragte ich die Meanys.
    »Das wäre wirklich nett von dir«, meinte sein Vater. Später kam er
in Owens Zimmer und sagte: »Und falls du irgendwas findest, das du als
Erinnerung behalten möchtest – ich weiß, daß ihm das sehr recht wäre.«
    Der Seesack enthielt sein Tagebuch und eine reichlich zerfledderte
Taschenbuchausgabe der Ausgewählten Werke des Thomas von
Aquin – ich nahm sie beide an mich; auch seine Bibel. Es schlug mir ganz
schön aufs Gemüt, mich mit seinen Sachen zu befassen. Ich war überrascht, daß
er seine Baseballsammelkarten, die er mir als symbolische Handlung überließ und
die ich ihm dann zurückgab, nie ausgepackt hatte; ich war überrascht davon, wie
hutzelig und grotesk die amputierten Krallen meines Gürteltiers aussahen – die
hatten früher wahren Schätzen geglichen, und jetzt schienen sie nicht nur
häßlich zu sein, sondern auch viel kleiner, als ich sie in Erinnerung hatte.
Aber am meisten überraschte mich, daß ich den Baseball nicht fand.
    »Der ist nicht hier«, sagte Mr.   Meany; er sah mir von der Tür aus
zu. »Du kannst überall nachsehen, aber du wirst ihn nicht finden. [739]  Er ist nie hier gewesen – ganz bestimmt, ich hab
ihn jahrelang gesucht!«
    »Ich dachte nur…« setzte ich an.
    »Ich auch!« meinte Mr.   Meany.
    Der Baseball, die sogenannte »Mordwaffe«, das sogenannte
»Todeswerkzeug« – hatte sich nie in Owen Meanys Zimmer befunden!
    Ich las die Stelle, die Owen in seiner Ausgabe der Werke des Thomas
von Aquin mit großem Nachdruck hervorgehoben hatte – den »Beweis für die
Existenz Gottes aus der Bewegung«. Ich saß auf Owens Bett und las die Stelle
ein ums andere Mal.
    Es ist unmöglich, daß etwas sich selbst bewegt. Also muß alles,
was in Bewegung ist, von einem anderen bewegt sein. Wenn demnach das, wovon
etwas seine Bewegung erhält, selbst auch in Bewegung ist, so muß auch dieses
wieder von einem anderen bewegt sein, und dieses andere wieder von einem
anderen. Das kann aber unmöglich so ins Unendliche fortgehen, da wir dann kein
erstes Bewegendes und infolgedessen überhaupt kein Bewegendes hätten. Denn die
späteren Beweger bewegen ja nur in Kraft des ersten Bewegers, wie der Stock nur
insoweit bewegen kann, als er bewegt ist von der Hand. Wir müssen also
unbedingt zu einem ersten Bewegenden kommen, das von keinem bewegt ist. Dieses
erste Bewegende aber meinen alle, wenn sie von »Gott« sprechen.
    Das Bett bewegte sich; Mr.   Meany hatte sich neben mich gesetzt.
Ohne mich anzusehen, bedeckte er meine Hand mit seiner Arbeiterpranke; es
machte ihm überhaupt nichts aus, den Stumpf meines amputierten Fingers zu
berühren.
    »Weißt du, er war kein… gewöhnlicher Mensch«, begann Mr.   Meany.
    »Er war sehr außergewöhnlich«, stimmte ich zu; doch Mr.   Meany
schüttelte den Kopf.
    [740]  »Ich meine, er war nicht normal,
seine Geburt war… anders«, fuhr Mr.   Meany fort.
    Außer bei dem einen Mal, als sie zu mir sagte, das mit meiner armen
Mutter tue ihr leid, hatte ich Mrs.   Meany noch nie sprechen hören; da mir ihre
Stimme aus diesem Grund völlig fremd war – und sie von ihrem Platz am Kamin im
Wohnzimmer aus sprach, erschrak ich, als ihre Stimme ertönte.
    »Halt!« rief sie aus. Mr.   Meanys Hand schloß sich etwas fester um
meine.
    »Ich meine, er wurde nicht normal geboren«, sagte Mr.   Meany. »Wie
das Jesuskind – meine ich«, fuhr er fort. »Seine Mutter und ich, wir haben nie,
wir haben es nie gemacht …«
    »Hör auf!« rief Mrs.   Meany aus.
    »Sie

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