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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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er bei allem, was er aufgehoben hat, an einen bestimmten Zweck
gedacht hat!« erklärte mir Mr.   Meany.
    Ich konnte mir nicht vorstellen, welchen Zweck es hätte haben können, das traurige rote Kleid meiner Mutter, ihre
Schneiderpuppe oder Maria Magdalenas abgetrennte Arme aufzuheben –, [743]  und ich sagte ihm das, etwas unfreundlicher, als
ich es meinte. Aber die Meanys besaßen sowieso kein Gespür für Veränderungen
der Stimmlage. Ich verabschiedete mich von Mrs.   Meany, die meinen Gruß jedoch
mit keinem Wort erwiderte, ja mich nicht einmal ansah; sie starrte unverwandt
in den Kamin, auf einen imaginären Ort irgendwo hinter der kalten Asche – oder
tief in ihr drin. Ich haßte sie! Ich fand, sie war
ein überzeugendes Argument für Zwangssterilisation.
    Draußen auf dem zerfurchten Schotterweg sagte Mr.   Meany zu mir: »Ich
würde dir gern noch was zeigen – ich hab’s im Laden.«
    Er ging den Kleintransporter holen, in dem er hinter mir her zu
seinem Grabsteinladen fahren wollte; als ich auf ihn wartete, hörte ich Mrs.
Meany aus dem staubdicht versiegelten Haus rufen: »Hör auf!«
    Ich war nicht mehr im Laden der Meanys gewesen, seit Owen mir durch
seinen chirurgischen Eingriff zur Untauglichkeit verholfen hatte. Als Owen über
Weihnachten zu Hause gewesen war – es war sein letztes Weihnachten, 1967 – hatte er viel Zeit im Geschäft seines Vaters verbracht, um
für ihn unerledigte, längst überfällige Aufträge fertigzustellen. Owen hatte
mich immer wieder eingeladen, auf ein Bier zu ihm in den Laden zu kommen, aber
ich hatte stets dankend abgelehnt; ich war noch dabei, mich an ein Leben ohne
rechten Zeigefinger zu gewöhnen und befürchtete, daß es mir beim Anblick der
Diamanttrennscheibe kalt den Rücken runterlaufen würde.
    Es war ein ruhiger Weihnachtsurlaub für ihn. Wir übten vier oder
fünf Tage hintereinander den Schuß; ich spielte bei dieser Übung eine ziemlich
unbedeutende Rolle, aber immerhin mußte ich den Ball auffangen und ihm wieder
zuwerfen. Der Finger machte mir keine Beschwerden; Owen war sehr erfreut, das
zu hören. Und ich hätte es undankbar von mir gefunden, mich bei ihm über die
Schwierigkeiten zu beschweren, die ich bei anderen [744]  Tätigkeiten
hatte – beim Schreiben und Essen, zum Beispiel; und an der Schreibmaschine,
natürlich.
    Es war eher eine traurige Weihnacht für ihn; Owen bekam nicht viel
von Hester zu sehen, deren – wenige Monate davor gefallene – Bemerkung, sie
werde nicht zu seiner Beerdigung kommen, seine Gefühle verletzt zu haben
schien. Und dann, nach Weihnachten, beschleunigten die Ereignisse noch den
Niedergang seiner Beziehung zu Hester, die in ihrer Gegnerschaft zum Krieg
immer radikalere Positionen bezog; es begann im Januar, als McCarthy
ankündigte, er werde sich bemühen, Präsidentschaftskandidat der Demokraten zu
werden. »Will er uns verarschen?« fragte Hester. »Der ist als
Präsidentschaftskandidat ungefähr so gut wie als Dichter !«
Dann, im Februar, gab Nixon seine Kandidatur bekannt.
»Das darf doch alles nicht wahr sein!« meinte Hester. Und im gleichen Moment
verzeichnete die US -Armee in Vietnam die höchste
Verlustrate aller Zeiten – in einer Woche fielen 543 amerikanische Soldaten!
Hester schickte Owen einen fiesen Brief. »Du mußt ja bis zum Arsch in Leichen
stehen – sogar in Arizona!« Dann, im März, gab Robert Kennedy seine Kandidatur bekannt; und im gleichen Monat erklärte
Präsident Johnson, er werde sich nicht mehr zur Wahl stellen. Hester hielt
Johnsons Rückzug für einen Erfolg der »Friedensbewegung«; einen Monat später,
als Humphrey seine Kandidatur bekanntgab, schrieb
Owen Hester: »DA KANN DEINE SOGENANNTE ›BEWEGUNG‹ ABER EINEN
TOLLEN ERFOLG VERBUCHEN – WART NUR MAL AB!«
    Ich glaube, ich weiß, was er damit wollte; er half ihr, sich aus
ihren Gefühlen für ihn zu lösen, bevor er starb. Hester konnte nicht wissen,
daß sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte –, aber er wußte, daß er sie nie mehr
wiedersehen würde.
    All das schwirrte mir durch den Kopf, als ich mit Mr.   Meany, diesem
Trottel, zu seinem Laden unterwegs war.
    Der Grabstein war ungewöhnlich groß, aber sehr schlicht.
    [745]  1 LT PAUL O. MEANY, JR.
    Und unter dem Namen die Daten – das korrekte Geburtsdatum, und
das seines Todes – und darunter die schlichte lateinische Inschrift, die »in
Ewigkeit« bedeutet.
    IN AETERNUM
    Es war reichlich geschmacklos, daß Mr.   Meany mir das unbedingt
zeigen wollte;

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