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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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bist du da gewesen?« erkundigte er sich. »Warst du acht
oder neun oder zehn? Vielleicht erinnerst du dich nicht mehr richtig an alle
Details.«
    Ich dachte eine Weile nach, ohne ihn dabei anzusehen. Dann sagte
ich: »Ihr wart doch sehr lange miteinander verlobt – ehe ihr geheiratet habt.
Ungefähr vier Jahre – wenn ich mich nicht täusche.«
    »Ja, ungefähr vier Jahre – das ist richtig«, stimmte Dan mißtrauisch
zu.
    »Warum habt ihr so lange mit dem Heiraten gewartet?« fragte ich ihn.
»Euch war doch allen beiden klar, daß ihr euch liebt – oder?«
    Dan sah auf die Bücherborde an der versteckten Tür zum Geheimgang.
    »Dein Vater…« begann er; dann hielt er inne. »Dein Vater wollte, daß
sie noch wartete«, erklärte er schließlich.
    »Warum?« wollte ich sofort wissen.
    »Damit sie wirklich sicher war, was mich betraf«, antwortete er.
    »Was ging ihn das denn an?« rief ich aus.
    »Genau – genau das hab ich auch zu deiner Mutter gesagt: daß es ihn
überhaupt nichts anging… ob sie sich meiner ›sicher‹ war. Natürlich war sie
sich sicher und ich mir auch!«
    »Und warum hat sie gemacht, was er wollte?« fragte ich Dan.
    »Wegen dir«, erklärte er mir. »Sie wollte, daß er ihr versprach,
sich dir gegenüber nie zu erkennen zu geben. Und das wollte er nur, wenn sie
noch wartete, ehe sie mich heiratete. Wir mußten beide warten, bis er
schließlich versprach, niemals mit dir darüber zu sprechen. Es hat vier Jahre
gedauert.«
    »Ich hab immer geglaubt, Mutter hätte es mir irgendwann selbst [762]  erzählt – wenn sie nicht gestorben wäre«, sagte
ich. »Ich dachte, sie würde nur abwarten, bis ich alt genug war – und es mir
dann erzählen.«
    »Sie hat nicht vorgehabt, es dir zu erzählen«, entgegnete Dan
Needham. »Mir hat sie klipp und klar gesagt, daß weder du noch ich es jemals erfahren würde. Ich hab das akzeptiert; und auch du
hättest es akzeptiert, wenn sie’s dir gesagt hätte. Nur dein Vater hat es nicht akzeptiert – vier Jahre lang.«
    »Aber nach Mutters Tod hätte er doch mit mir sprechen können«,
wandte ich ein. »Wer hätte schon erfahren, daß er damit ein Versprechen
gebrochen hätte? Nur ich hätte überhaupt davon gewußt – und auch ich hätte nie erfahren, daß sie ihm ein Versprechen abverlangt hat.
Ich hatte nie gedacht, daß er daran interessiert war,
sich mir zu erkennen zu geben!«
    »Er muß jemand sein, bei dem man sich darauf verlassen kann, daß er
ein Versprechen hält«, meinte Dan. »Ich dachte immer, er sei eifersüchtig auf
mich –, er verlange nur deshalb von ihr, so lange zu warten, weil er hoffte,
ich würde die Geduld verlieren oder sie mich irgendwann überhaben. Ich meinte
immer, er würde versuchen, uns auseinanderzubringen – daß er nur so tat, als ob
es ihm darauf ankomme, daß sie sich meiner sicher war
und als ob er ihre Zustimmung dazu haben wolle, daß er sich dir zu erkennen
gab. Doch heute denke ich, daß er aufrichtig gewollt haben muß, daß sie sich in
mir nicht irrte –, und es muß schwer für ihn gewesen sein, ihr zu versprechen,
daß er niemals versuchen würde, zu dir Kontakt
aufzunehmen.«
    »Wußtest du von der ›Lady in Red‹?« fragte ich Dan Needham. »Hast du
vom ›Orange Grove‹ gewußt – und von allem, was damit zusammenhängt?«
    »Es war für sie die einzige Möglichkeit, ihn zu sehen, die einzige
Chance für die beiden, miteinander zu reden«, meinte Dan. »Mehr weiß ich nicht
darüber, und ich werde dich nicht fragen, woher du davon weißt.«
    [763]  »Hast du schon mal von Big Black
Buster Freebody gehört?« fragte ich weiter.
    »Das war ein alter schwarzer Musiker – deine Mutter mochte ihn
sehr«, antwortete Dan. »Ich erinnere mich daran, weil unsere letzte gemeinsame
Fahrt, bevor sie getötet wurde, die zu Buster Freebodys Beerdigung war.«
    Und so glaubte Dan Needham, mein Vater sei jemand, der zu seinem
Wort steht. Wie viele Menschen von der Sorte gibt es
schon, fragte ich mich. Es erschien mir sinnlos, Dan die Illusion von der
Aufrichtigkeit meines Vaters zu nehmen. Und es erschien mir schon beinahe
sinnlos zu wissen, wer mein Vater war; ich war ziemlich sicher, daß es Dan nie
etwas nützen würde, das zu erfahren. Was konnte es ihm schon nützen, wenn er
wußte, daß Rev. Lewis Merrill damals auf einer der Holzbänke gesessen und
gebetet hatte, meine Mutter möge tot umfallen – oder gar, daß Pastor Merrill so
arrogant war zu glauben, sein Gebet habe gewirkt ? Ich
war sicher,

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