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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Trollope vorzusetzen, heißt Perlen vor die Säue werfen! Ihre Hüften,
ihre Köpfe und sogar ihre Herzen werden von diesen unerbittlich geistlosen
Rockvideos mitgerissen; doch der Anfang von Kapitel 4 entlockt ihnen nicht
einmal ein Kichern.
    »Über Mr.   Slopes Herkunft kann ich nicht viel sagen. Ich habe
gehört, er stamme in direkter Linie von dem berühmten Arzt ab, der bei Mr.   T.
Shandys Geburt assistiert hat, und habe in jungen [759]  Jahren
ein ›e‹ an seinen Namen angefügt, des Wohlklanges wegen, wie andere große
Männer vor ihm.«
    Nicht einmal ein Kichern! Doch wie ihre Herzen schlagen und hüpfen,
wie ihre Hüften hin und her zucken, wie ihre Köpfe von links nach rechts, von
vorne nach hinten wackeln – und ihre Augen sich nach innen drehen, vollkommen
in diesen ungeschulten kleinen Schädeln verschwinden –, wenn sie Hester the Molester nur hören; ganz zu schweigen davon,
was passiert, wenn sie den zusammenhanglosen Unsinn sehen, der ihren Gesang auf ihrem letzten Videoclip untermalt!
    Das erklärt wohl, warum ich das Bedürfnis hatte, ganz allein in der
Grace Church zu sitzen.
    Diese Woche habe ich meiner Can Lit- Abschlußklasse,
wie die aggressive Ms. Pribst sagen würde, »Die Jupitermonde« vorgelesen – diese herrliche Geschichte von Alice Munro. Ich war ein wenig nervös dabei,
weil eine meiner Schülerinnen – Yvonne Hewlett – sich in einer Situation
befindet, die der der Erzählerin in dieser Geschichte verflixt ähnlich ist: ihr
Vater liegt im Krankenhaus, muß sich einer heiklen Herzoperation unterziehen.
Mir wurde erst wieder bewußt, was mit Yvonne Hewletts Vater los war, als ich
bereits begonnen hatte, der Klasse »Die Jupitermonde« vorzulesen; es war zu
spät, um wieder aufzuhören oder die Geschichte beim Vorlesen zu verändern.
Außerdem ist es keineswegs eine brutale Geschichte – sie ist warmherzig, ja sie
ist geradezu beruhigend für die Kinder von Herzpatienten. Was hätte ich auch
tun sollen? Yvonne Hewlett hat erst vor kurzem, nachdem ihr Vater einen
Herzinfarkt erlitt, eine Woche Unterricht versäumt; sie wirkte angespannt und
ausgelaugt, während ich Alice Munros Geschichte vorlas – natürlich mußte sie
angespannt und ausgelaugt wirken, gleich vom ersten Satz an: »Ich fand meinen
Vater auf der Herzstation…«
    Wie konnte ich nur so gedankenlos sein? dachte ich bei mir. Ich wollte
schon unterbrechen und Yvonne Hewlett sagen, daß schon [760]  alles
gut gehen würde – obwohl ich keinerlei Recht hatte, ihr ein derartiges
Versprechen zu machen, besonders nicht in bezug auf ihren Vater. Mein Gott, was
für eine Situation!
    Plötzlich fühlte ich mich wie mein Vater – ich bin der armselige Sohn eines armseligen Vaters, dachte ich. Dann tat es mir
leid, wie übel ich ihm mitgespielt hatte, wenn auch am Schluß alles in Ordnung
ging – und sich herausstellte, daß ich ihm einen Gefallen getan hatte. Aber ich
hatte bei dem, was ich tat, nicht die Absicht, ihm einen Gefallen zu tun.
    Als ich ihn im Pfarrbüro allein ließ mit seinen Gedanken darüber,
was er bei Owens Beerdigung sagen sollte, nahm ich den Baseball mit. Als ich
dann zu Dan Needham ging, ließ ich den Baseball im Handschuhfach meines Wagens
liegen. Ich war so wütend, daß ich nicht wußte, was ich als nächstes tun sollte – vor allem: sollte ich es Dan erzählen oder nicht?
    Und da fragte ich Dan Needham – weil bei ihm keine Art von
religiösem Glauben klar ersichtlich war –, warum er darauf bestanden hatte, daß
meine Mutter und ich die Kirche wechselten, daß wir die Kongregationalisten
verließen und zu den Episkopalen gingen.
    »Wie meinst du das?« fragte mich Dan. »Das war doch deine Idee!«
    »Was meinst du?« fragte ich zurück.
    »Deine Mutter hat mir gesagt, alle deine Freunde wären in der
Episkopalkirche – in erster Linie Owen«, erklärte Dan. »Sie sagte, du hättest
sie gefragt, ob du nicht die Kirche wechseln könntest, dann könntest du
zusammen mit deinen Freunden zur Sonntagsschule gehen. Bei den
Kongregationalisten hättest du keine Freunde, hat sie gesagt.«
    »Das hat Mutter gesagt?« fragte ich ihn. » Mir hat sie erklärt, wir sollten alle beide zu den Episkopalen wechseln, damit wir
der gleichen Kirche angehörten wie du – weil du
Episkopale bist.«
    [761]  »Ich bin Presbyterianer«,
entgegnete Dan, »– nicht, daß das eine Rolle spielt.«
    »Dann hat sie uns angelogen«, sagte ich zu Dan; er zuckte, nach
einer Weile, mit den Schultern.
    »Wie alt

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