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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Stottern, das früher seine Ansprachen verhunzt hat, keine
Spur mehr geblieben ist. Bisweilen beneide ich Lewis Merrill; dann wünsche ich
mir, mich würde jemand durch eine List so zum Glauben führen, wie ich ihn durch
eine List zu seinem grenzenlosen und unerschütterlichen Glauben geführt habe.
Denn obgleich ich zu wissen glaube, welches die wirklichen Wunder sind, beunruhigt und verunsichert mich mein Glaube an Gott doch viel
mehr, als es mein Un glaube jemals tat; nicht zu
glauben erscheint mir heute wesentlich schwieriger als zu glauben –, doch
Glauben wirft weitaus mehr Fragen auf, auf die es keine Antworten gibt!
    Wie konnte Owen Meany gewußt haben, was er »wußte«? An den Zufall zu
glauben ist natürlich keine Antwort; aber ist der Glaube an Gott wirklich eine bessere Antwort? Wenn Gott bei dem, was Owen »wußte«, die
Finger im Spiel hatte, welch schreckliche Frage würde das aufwerfen? Denn wie konnte Gott dann das alles mit Owen Meany geschehen lassen?
    Vorsicht bei Menschen, die sich selbst als religiös bezeichnen; man
sollte sich immer vergewissern, daß man auch weiß, was sie damit meinen – und
daß sie wissen, was sie damit meinen!
    [791]  Es war mehr als ein Jahr nach
meiner Ankunft in Kanada, als die Kirchengemeinden von Gravesend – auf Drängen
von Lewis Merrill auch die Hurd’s Church – ein sogenanntes Vietnam-Moratorium
organisierten. An einem bestimmten Tag im Oktober läuteten um sechs Uhr morgens
alle Kirchenglocken – ich bin sicher, das ist einer Reihe von Leuten auf die
Nerven gegangen –, und schon um sieben Uhr wurden Andachten gehalten. Danach
zog man vom Musikpodium, auf dem die Stadtkapelle immer spielte, die Front
Street entlang bis vor das Hauptgebäude der Gravesend Academy; dort folgte eine
friedliche Kundgebung, wie man es nannte, mit ein paar wenig originellen Reden
gegen den Krieg. Bezeichnenderweise enthielt sich der Gravesend
Newsletter jeglichen Kommentars zu diesem Ereignis, abgesehen von der
Bemerkung, daß eine Demonstration gegen das Chaos auf den Highways eine
nutzbringendere Verwendung soviel staatsbürgerlichen Engagements gewesen wäre;
die Schülerzeitung The Grave erklärte, es sei »an der
Zeit«, daß die Angehörigen der Academy und die Bürger der Stadt ihre Kräfte
zusammenschlössen, um gegen diesen üblen Krieg zu demonstrieren. Der Newsletter schätzte die Teilnehmerzahl auf weniger als
vierhundert – »und fast noch einmal so viele Hunde«. The
Grave behauptete, die Menge sei bis auf wenigstens sechshundert
»disziplinierte« Demonstranten angewachsen. Beide Zeitungen berichteten über
die einzige Gegendemonstration, zu der es kam. Als die Demonstranten die Front
Street entlangzogen – an der alten Stadthalle vorbei, wo die Gravesend Players
so lange jung und alt unterhalten hatten –, trat ein Angehöriger des
amerikanischen Frontkämpferverbandes auf die Straße und schwenkte eine
nordvietnamesische Fahne, einem jungen Tubabläser der Academy-Blaskapelle genau
ins Gesicht.
    Dan erzählte mir, der Kerl vom Frontkämpferverband sei niemand
anderes gewesen als Mr.   Morrison, der feige Postbote.
    [792]  »Ich möchte wissen, wie der
Idiot an eine nordvietnamesische Fahne gekommen ist!« meinte meine Großmutter.
    So sind, mit herzlich wenigen Unterbrechungen, auch die Jahre die
Front Street entlanggezogen und unaufhaltsam vorbeimarschiert.
    Owen Meany brachte mich dazu, ein Tagebuch zu führen; doch mein
Tagebuch spiegelt ein wenig aufregendes Leben wider, so wie Owens Tagebuch die
weitaus interessanteren Dinge widerspiegelte, die ihm passierten. Hier ein
typischer Eintrag aus meinem Tagebuch:
    »Toronto, 17.   November 1970. Heute ist das Gewächshaus der Bishop
Strachan School abgebrannt, und wir mußten alle das Schulgebäude räumen.«
    Ja, und außerdem: Ich vermerke in meinem Tagebuch jeden Tag, an dem
die Mädchen in der Morgenandacht ihr »Kinder Gottes« singen. Auch den Tag, an
dem ein Journalist von einem Rock-Magazin ein kurzes Interview mit mir machen
wollte, als ich gerade im Begriff war, mich zur Morgenandacht niederzulassen,
habe ich in mein Tagebuch eingetragen. Dem jungen Mann im lila Kaftan und mit
langen wilden Haaren schien nicht bewußt zu sein, wie ihn die Mädchen
anstarrten; er wurde anscheinend nur von den Kabeln und Drähten seiner
Tonbandausrüstung zusammengehalten, die ihn in seiner Bewegungsfreiheit
einschränkten. Da stand er, uneingeladen – ja unangemeldet! – und hielt mir ein
Mikrophon ins

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