Owen Meany
und auch wir Wheelwrights selbst, hielten es
für eine merkwürdige Wende im Verhalten meiner Mutter, daß sie vier Jahre lang
mit Dan Needham verlobt war, ehe sie einer Heirat zustimmte. Wie meine Tante
Martha anmerken würde, hatte sie mit ihrem »Techtelmechtel«, dessen Ergebnis
ich war, keine fünf Minuten gewartet! Doch vielleicht war das der Grund: Wenn
die eigene Familie, und die ganze Stadt, ihre Zweifel an der Moral meiner
Mutter hatte – man mochte vielleicht annehmen, sie sei leicht zu allem
möglichen zu überreden –, so belehrte sie die lange Verlobungszeit meiner
Mutter eines Besseren. Denn es war von Anfang an offensichtlich, daß Dan und
meine Mutter sich liebten. [155] Er hatte nur
Augen für sie, sie ging mit niemand anders aus, nach wenigen Monaten verlobten
sie sich –, und jeder wußte, wie sehr ich Dan mochte. Selbst meine Großmutter,
die die vermeintliche Vorliebe meiner Mutter, sich zu schnell auf etwas
einzulassen, argwöhnisch beobachtete, wurde langsam ungeduldig, weil meine
Mutter keinen Hochzeitstermin festsetzte. Dan Needhams Charme, ganz zu
schweigen von der Geschwindigkeit, mit der er die Herzen der Schüler und Lehrer
an der Gravesend Academy eroberte, hatte sie für ihn eingenommen.
Großmutter ließ sich grundsätzlich nicht leicht für irgend jemanden
einnehmen. Dennoch konnte sie sich dem Zauber nicht entziehen, den Dan auf die
Mitglieder der Laienschauspieltruppe der Gravesend Players ausübte; sie ging
sogar so weit, eine Rolle in Maughams Stück Finden Sie, daß
Constanze sich richtig verhält? anzunehmen; sie war die würdevolle
Mutter der betrogenen Ehefrau, und es stellte sich heraus, daß eine solche
Rolle in einer etwas frivolen Gesellschaftskomödie ihr geradezu auf den Leib
geschnitten war – sie war der Inbegriff einer Kultiviertheit, auf die man gut
und gern verzichten kann. Sie zauberte sogar einen vornehmen britischen Akzent
hervor, ohne daß Dan sie dazu angeregt hätte; der war schließlich nicht auf den
Kopf gefallen und hatte sofort erkannt, daß der britische Akzent nicht sehr
tief im Herzen von Harriet Wheelwright begraben lag – es bedurfte nur einer
passenden Gelegenheit, und schon kam er hervor.
»Ich gebe ungern direkte Antworten auf direkte Fragen«, sagte
Großmutter, als Mrs. Culver, gebieterisch – und der Ton paßte genau. Und in
einem anderen denkwürdigen Augenblick, als sie sich über die Affäre ihres
Schwiegersohnes mit der »besten Freundin« ihrer Tochter ausließ, zog sie den
Schluß: »Wenn John Constanze hintergeht, dann ist es doch nett, daß wir die
betreffende Person kennen.« Nun, Großmutter war so hervorragend in ihrer Rolle,
daß sie alle Zuschauer mitriß; die Aufführung war ein voller [156] Erfolg und meiner Meinung nach zuviel der Ehre
für das arme Ehepaar John und Constanze, das schleppend dargestellt wurde von
einem etwas belemmerten Mr. Fish, unserem hundeliebenden Nachbarn (Dan gab ihm
immer eine Rolle) und der tyrannischen Mrs. Walker, deren Beine der
aufreizendste Teil an ihr waren – leider fast gänzlich bedeckt von den langen
Kleidern, die für diese Gesellschaftskomödie angebracht waren. Großmutter fing
vor lauter falscher Bescheidenheit an, tiefzustapeln und meinte nur, sie könne
eben recht gut nachvollziehen, was sich 1927 so abgespielt hatte – und das
bezweifle ich nicht: Zu der Zeit war sie sicherlich eine wunderschöne junge
Frau. »Und deine Mutter«, sagte Großmutter zu mir, »war damals jünger als du
jetzt.«
Warum also warteten Dan und meine Mutter vier Jahre lang?
Wenn es Probleme gab, wenn sie Meinungsverschiedenheiten zu klären
hatten, dann habe ich davon nichts mitbekommen. Nachdem sie sich so
unschicklich verhalten und mich in die Welt gesetzt hatte, ohne jemals eine
Erklärung dafür zu liefern, war meine Mutter nun beim zweitenmal einfach nur
übervorsichtig? War Dan mißtrauisch? Er schien es nie zu sein. War ich das Problem? Das fragte ich mich oft. Doch ich liebte
Dan – und er gab mir jeden Grund, zu glauben, daß auch er mich liebte. Ich weiß, daß er mich liebte; das tut er heute noch.
»Geht es um Kinder, Tabitha?« fragte meine Großmutter einmal beim
Abendessen, und Lydia und ich richteten uns in Erwartung der Antwort
kerzengerade auf. »Ich meine, will er welche – willst du keine mehr? Oder ist es gerade anders herum? Ich finde es unsinnig, wenn
du dich damit herumplagst, ob ihr nun Kinder wollt oder nicht, Tabitha – wenn
es dich einen so
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