Owen Meany
diesen
Baseball – genauso wie es einen Grund dafür gab, daß Owen klein war und diese
fürchterliche Stimme hatte. Owen glaubte, er habe EINEN ENGEL
UNTERBROCHEN, IHN BEI SEINER [150] ARBEIT GESTÖRT ,
er habe DIE STRUKTUR DER DINGE DURCHEINANDERGEBRACHT.
Heute ist mir klar, daß ihm nie in den Sinn gekommen war, er hätte
einen Schutzengel gesehen; er war davon überzeugt, besonders nach DIESEM SCHICKSALHAFTEN BASEBALL , daß er den Engel des
Todes gestört hatte. Obgleich er mir (damals) diesen göttlichen Plan nicht
darlegte, weiß ich, was er glaubte: Er, Owen Meany, habe den Engel des Todes
bei seinem heiligen Auftrag gestört; der Engel führte ihn nicht aus – sondern
übertrug ihm diesen Auftrag. Wie konnten diese
Fantastereien bloß ein derart monströses Ausmaß annehmen und so überzeugend auf
ihn wirken?
Meine Mutter war zu schläfrig, um seine Temperatur zu messen, aber
er hatte ganz offensichtlich Fieber, und dieses Fieber führte dazu, daß er eine
Nacht in ihrem Bett verbrachte – in ihren Armen.
Und trug diese Aufregung, dort zu sein, bei ihr – einmal ganz
abgesehen von seinem Fieber – nicht zu seiner Bereitschaft bei, die Augen
offenzuhalten und wachzubleiben, gewappnet für den nächsten Eindringling, sei es ein Engel oder ein Geist oder ein unglückliches
Familienmitglied? Ich denke schon.
Einige Stunden später kam die zweite schreckliche Erscheinung ins
Schlafzimmer meiner Mutter. Ich sage »schrecklich«, weil Owen zu der Zeit Angst
vor meiner Großmutter hatte; er muß ihre Verachtung für das Granitgeschäft
gespürt haben. Ich hatte das Licht im Bad meiner Mutter nicht ausgemacht und
die Badezimmertür, die auf den Flur führte, offengelassen, und, was noch
schlimmer war, ich hatte den Wasserhahn nicht zugedreht (nachdem ich Owen für
das Aspirin ein Glas hatte vollaufen lassen). Meine Großmutter behauptete
immer, sie könne hören, wie der Stromzähler jedes Kilowatt zählte; sobald es
dunkel wurde, folgte sie meiner Mutter durchs Haus und machte die Lichter
wieder aus, die meine Mutter angeknipst hatte. Und in dieser Nacht merkte
Großmutter nicht nur, daß noch ein Licht an war, sondern sie [151] hörte auch, daß noch Wasser lief – entweder die
Pumpe im Keller oder den Wasserhahn selbst. Als Großmutter das Bad meiner
Mutter verlassen vorfand, ging sie weiter zu deren Zimmer – aus Sorge, sie
könne krank sein, oder aus Ärger wegen dieser Wasserverschwendung und mit der
Absicht, meine Mutter darauf aufmerksam zu machen, auch wenn sie sie dazu
aufwecken mußte.
Großmutter hätte vielleicht einfach nur das Licht ausgemacht und den
Wasserhahn zugedreht und wäre dann zu Bett gegangen, wenn ihr nicht der Fehler unterlaufen wäre, den Wasserhahn in die falsche Richtung
zu drehen – sie drehte ihn kräftig weiter auf und
bekam eine Ladung von nach stundenlangem Laufen eiskalten Wassers ab. So war
ihr Nachthemd pitschnaß; sie mußte sich ein frisches anziehen. Das muß sie dazu
veranlaßt haben, meine Mutter zu wecken; nicht nur waren Strom und Wasser
vergeudet worden, noch dazu war Großmutter bei dem Versuch, der ganzen
entweichenden Energie Einhalt zu gebieten, bis auf die Haut naß geworden. Ich
würde deshalb vermuten, daß sie beim Betreten des Zimmers meiner Mutter nicht
eben ruhig war. Und obwohl Owen auf einen Engel vorbereitet war, hatte er vielleicht
doch eher angenommen, daß selbst der Engel des Todes verhalten eintreten würde.
Meine Großmutter kam pitschnaß – das normalerweise wallende
Nachthemd an den dürren, gebeugten Körper geklatscht, Lockenwickler auf dem
Kopf und das Gesicht so dick eingekremt, daß es die fahle Farbe des Mondes
besaß – ins Zimmer meiner Mutter gestürzt. Owen
brauchte Tage, ehe er mir erzählen konnte, was er in diesem Augenblick dachte:
wenn man den Engel des Todes erschreckt, dann verlangt der Göttliche Plan nach
Engeln, die man nicht verschrecken kann; die können einen sogar beim Namen
nennen.
»Tabitha!« sagte meine Großmutter.
»AAAAAAAHHHHH!«
Owen Meany schrie so fürchterlich, daß meiner Großmutter [152] die Luft wegblieb. Neben meiner Mutter im Bett
sah sie einen kleinen Dämon hochspringen – mit einer so plötzlichen und
unwirklichen Kraft, daß meine Großmutter dachte, das kleine Wesen würde gleich
losfliegen. Meine Mutter schien neben ihm zu schweben. Lydia, die damals noch
beide Beine hatte, sprang aus dem Bett und rannte geradewegs in ihre Kommode;
noch tagelang trug sie ihre blaue Nase zur
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