P. S. Ich töte dich
einem bestimmten Punkt eine Eigendynamik bekommen, die unweigerlich zum Kollaps führt. Unverhältnismäßig hohe Zahlen an Magengeschwüren, Herzinfarkten und Nervenzusammenbrüchen in der Branche sprechen eine deutliche Sprache. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe lange genug im Bankgeschäft gearbeitet. Aber ich rede nicht nur vom Kollaps des Körpers. Auch die Gesellschaft ist in Gefahr. Wie soll ein solches System auf Dauer funktionieren? Irgendeiner muss die Zeche zahlen, und das sind letztlich wir alle. Trotzdem machen wir weiter.
Genau wie die Graugänse.
Kennen Sie Konrad Lorenz? Nicht? Na, Sie sind vermutlich noch zu jung. Einerlei. Lorenz hat entdeckt, dass brütende Graugänse ein aus dem Nest gefallenes Ei auf Anhieb und problemlos ins Nest zurückbugsieren können, ohne dies vorher ein einziges Mal geübt zu haben. Dabei balancieren sie das Ei so, dass es nicht seitlich wegrollt. Nimmt man ihnen das Ei weg, führen sie diese Rollbewegung trotzdem zu Ende, sie können gar nicht anders. Genau wie wir Menschen.
Wirtschaftsforscher haben bewiesen, dass unser kapitalistisches Wirtschaftssystem eine Fehlentwicklung darstellt. Es kann auf Dauer gar nicht funktionieren. Wie sollte es auch? Wer soll denn den ganzen Scheiß kaufen, den unsere Großunternehmen produzieren? Die Dritte Welt? Trotzdem machen wir weiter, als wüssten wir von nichts. Irgendwann werden wir feststellen, dass uns das Ei auf halbem Wege abhandengekommen ist, nur ist es dann zu spät.
Aber was rege ich mich auf, es ist doch nur ein Spiel. Und wer bin ich, mich über die Spielregeln zu beklagen?
Und damit kommen wir zu der Frage, warum Sie am Heiligen Abend festgeschnallt auf einem Stuhl sitzen, nackt, einen Knebel im Mund, die Hände unkomfortabel hinter dem Rücken gefesselt, und den Worten eines vermeintlich Irren lauschen. Nun, ich werde es Ihnen verraten.
Ich bin nicht irre. Das überrascht Sie jetzt, nicht wahr? Nein, im Ernst. Ich bin es ebenso wenig wie Sie oder jeder andere auf diesem Erdball.
Haben Sie mal Matrix gesehen? Ah, ich sehe es Ihren Augen an, Sie mögen den Film. Ich auch. Nicht wegen Keanu Reeves, den ich – neben Nicolas Cage – für einen der lausigsten Schauspieler halte, die Hollywood in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Nein, mich interessiert die Botschaft. Die Botschaft, dass die Welt um uns herum nicht real ist. Dass sie es nie war. Dass alles, was wir sehen, hören, fühlen, schmecken, nur Teil einer riesigen und schwer zu steuernden Simulation ist.
Die Welt ist surreal, geben Sie es ruhig zu. Schauen Sie sich die Nachrichten an, dann wissen Sie, wovon ich rede. Hungersnöte, Kriege, Umweltkatastrophen, Krebs, Ozonlöcher, George Bush, Motivklodeckel. Ja was denn noch?
Schicksal sagen Sie? O nein. Ich nenne es Systemfehler.
Programmierfehler
. Kleine Schlampereien im Quell-Code, die erst bei längerer Laufzeit zum Problem werden. Dann allerdings sind sie nicht mehr zu beheben. Irreparabel. Die Fehler summieren sich auf, das System geht vor die Hunde. So wie alle Systeme übrigens, die zu groß und komplex geworden sind. Das ist ein Naturgesetz. Man nehme zum Beispiel die Dinosaurier oder die großen Weltreiche – alle zu Staub zerfallen.
Tilt. Absturz. Breakdown.
Dann muss die Festplatte gesäubert und das System neu gebootet werden, in der Hoffnung, dass es beim nächsten Mal besser klappt. Geburt, Tod, Wiedergeburt, für Religionsforscher ein alter Hut. Aber auch für Naturwissenschaftler. Fragen Sie mal einen Astrophysiker, was er unter dem Begriff
zyklisches
oder
pulsierendes
Universum versteht. Er wird Ihnen einen ellenlangen Vortrag über ein Denkmodell halten, bei dem die Welt mit einer Initialzündung – einem Urknall – beginnt, sich dann entfaltet und immer weiter ausdehnt, nur um irgendwann einen Höhepunkt zu erreichen und wieder in sich zusammenzufallen. Und wir Menschen, die wir irgendwo im Räderwerk dieser gewaltigen Maschine stecken, glauben wirklich, wir könnten etwas verändern? Lachhaft. Moral und Ethik? Scheinwerte. Das wissen Sie sicher am besten. Kleinstprogrammierungen, die in unserer Evolutionsgeschichte sicher mal wichtig waren und die uns das Gefühl vermitteln sollen, in unserem Leben gäbe es so etwas wie Ordnung und Bedeutung. Ich verrate Ihnen sicher nichts Neues, wenn ich sage: Es geht auch ohne, und zwar bedeutend besser. Man darf sich nur nicht erwischen lassen. Menschen wie Sie haben es uns vorgemacht. Nehmen Sie zum Beispiel den Fall dieser
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