P. S. Ich töte dich
beantworten: Woran erkennt man, ob man wach ist oder schläft? Ich habe es nie schlüssig erklärt bekommen. Die Studien, die sich mit luziden Träumen befassen, waren nicht wirklich erhellend. Das Problem liegt in der Abgrenzung. Wie können wir Wachzustand und Traumzustand voneinander unterscheiden? Wie kann der Träumende während des Traumgeschehens erkennen, dass er träumt? Gibt es Techniken, die eine solche Deutung zulassen? Und wenn ja, welche? Angeblich kann sich der Mensch vor dem Zubettgehen vornehmen, eine gewisse Distanz zu dem zu wahren, was er im Traum erleben wird. Er kann sich bestimmte Schlüsselsymbole ins Gedächtnis rufen, die regelmäßig in seinen Träumen auftauchen, um dann im Traum zu erkennen: »Aha, dieses Symbol ist ein Traumsymbol, also träume ich wohl gerade.«
Nur: Was, wenn der Schlaf – wie in unserem Fall – eine Art Dauerzustand ist? Wenn wir gar nicht erst erwachen? Dann fällt die Argumentationskette doch in sich zusammen, nicht wahr?
Sie sehen also, vor welchem Problem ich stehe. Und das bringt mich wieder zurück zu meinem ursprünglichen Vorhaben: das Programm zum Absturz zu bringen.
Ich werde Ihnen jetzt eine Substanz verabreichen, die verhindert, dass Sie ohnmächtig werden. Schließlich hängt der Erfolg meiner Unternehmung ja von der Stärke Ihrer Pein ab, dem Ausschlag auf der Richterskala, wenn Sie so wollen. Doch, doch. Ich muss schon eine gewisse Benchmark erreichen, um auf dem Radarschirm des Programmierers aufzutauchen. Aber das soll nicht Ihr Problem sein, schließlich sind Sie mehr oder weniger unbeteiligt. Mir allein obliegt das Gelingen des Plans. Wenn ich scheitere, können Sie mir die Schuld geben. Obwohl … ob Sie dazu noch in der Lage sein werden?
Womit soll ich anfangen? Die Instrumente liegen bereit. Ich glaube, ich wähle etwas Kleines, schließlich will ich mich ja nicht gleich im Largo verausgaben. Das Ganze muss etwas von einer Sinfonie haben. Eitelkeit sagen Sie? Ich nenne es künstlerischen Anspruch.
Ich hatte zuerst an ein sanftes Adagio gedacht, dann ein Andante oder Allegretto. Und für das Grand Finale ein Allegro, vielleicht auch ein Vivace. Je nachdem, wie viel Begeisterungsfähigkeit Sie dann noch aufbringen.
Schauen Sie sich dieses Skalpell an, wie das Licht darauf schimmert. Ein kleiner Schnitt, und schon blutet es. Warten Sie,
ich wische es gleich wieder weg.
Verdammt, diese Grafik ist schon echt realistisch. Der Special-Effects-Abteilung müsste man den Oscar verleihen. Schade, dass das ganze Geld immer nur in die Optik fließt, der Inhalt scheint niemanden zu interessieren. Aber ich gedenke, das zu ändern.
Bereit?
Gut. Fangen wir an.
◊
* Mirko M. gehörte zu einer Gruppe junger Männer, deren Leichen am 23. Februar 2010 im rheinischen Kürten gefunden wurden. Die drei hatten sich eine Pizza bestellt und dann gemeinsam Selbstmord verübt.
Der fast Perfekte
Torkil Damhaug
I
ch werde jemanden töten. Die Erleichterung, diesen Gedanken zu Ende gedacht zu haben, lässt mich aufstehen, zum Fenster gehen und die Gardine zur Seite ziehen. Seit Tagen war sie geschlossen gewesen, seit genau einer Woche. Seitdem habe ich keinen Fuß vor die Tür gesetzt. Das Fenster ist gekippt, von der Straße dringen Stimmen zu mir herauf. Der Kioskbesitzer auf der anderen Seite steht auf einer Leiter und fummelt an seiner Weihnachtsdekoration herum; seine Frau zeigt und erklärt ihm, wie sie über der Tür hängen soll. Aus der Ferne ertönt die Musik eines Nachtklubs, ein Auto lässt den Motor an. Der Raum hinter mir liegt im Dunkeln, von unten kann mich keiner erkennen.
Ich habe schon früher daran gedacht, jemanden zu töten. Habe an diesem Gedanken festgehalten und mit ihm gespielt. Doch heute Nacht ist er zur Gewissheit geworden. Jetzt ist es an mir, alles liegt in meiner Hand.
Was aussteht: Eine Methode auswählen, Ort, Opfer und Zeitpunkt bestimmen. In dieser Reihenfolge.
Ich gehe ins Schlafzimmer, öffne noch nicht den Kleiderschrank, um die Uniform herauszunehmen, sondern bleibe nackt vor dem Spiegel stehen. Das ist zu einer täglichen, genauer gesagt nächtlichen Übung geworden. Die Musterung jedes einzelnen Körperteils. Den Kopf betrachte ich nur flüchtig, nicht aufgrund der Glatze mit dem Hautfleck von der Größe eines Kontinents; nein, es ist mein Gesicht, bei dem ich nicht verweilen will. Mein Blick wandert zu den Schultern, die breit und muskulös sind. Ich habe unfassbar starke Arme, eine Laune der Natur, ein
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