Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

P. S. Ich töte dich

Titel: P. S. Ich töte dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
Vom Netzwerk:
Dürre.
    Dritte Sitzung. »Sie müssen es rauslassen!«, sagte Doktor Geschniegelt und blies mit spitzen Lippen einen Fussel von seinem Revers. Arschloch, dachte Wolf und sagte: »Machen Sie sich keine Sorgen.«
    Danach blieb er zwei Tage zu Hause. Als er wiederkam, schob er Dienst nach Vorschrift. Blieb erneut einen Tag zu Hause. Kam. Fehlte drei Tage. Wurde aus dem aktiven Ermittlungsdienst in die Verwaltung versetzt. »Vorübergehend«, hieß es beim Polizeiärztlichen Dienst. Die Kollegen zeigten sich verständnisvoll, begrüßten ihn betont freundlich, wenn er sich unrasiert und in den Kleidern des Vortags auf den Drehstuhl setzte. »Du schaffst das schon, Alter.«
    Bis er irgendwann immer kühler empfangen wurde. Sie resignierten vor seiner Apathie. Tuschelten. Erst hinter angelehnten, dann hinter verschlossenen Türen. Nur Doktor Geschniegelt ließ eitle Zuversicht raushängen: »Vertrauen Sie mir. Dann werden Sie auch dem Leben wieder vertrauen.« »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Wolf.
    Nach der fünften Sitzung öffnete er die Schublade und legte die Kündigung vor dem Dezernatsleiter auf den Tisch. »Wir bedauern das sehr«, sagte Gerlach, schob hastig ein paar Akten über die Bewerbungsmappen, in die er vertieft gewesen war, und kam mit quietschenden Schuhen hinter dem Mahagonischreibtisch hervor. Lächelnd hatte er Wolf auf die Schulter geklopft und ihn sanft Richtung Tür bugsiert. »Sie werden schon einen Weg finden, Kollege.«
    Der Mond stand jetzt hoch über dem See, und seine schmale Sichel zeichnete sich scharf vom schwarzen Firmament ab. O ja, er hatte einen Weg gefunden!
    Wolfs Blick ging zu Rick. Er kauerte im Schnee, kroch ein paar Meter, kam auf die Knie. Sein Gesicht glänzte nass. Das Zittern war endgültig verschwunden.
    »Du bist nicht …«, setzte Rick an und würgte, »durch Zufall in meine Werkstatt gekommen.« Der Schmetterlingsflügel bewegte sich im schwachen Schein des Feuers, als er sprach.
    »Du bist zäh. Wie ich es erwartet habe. Du bist an deiner Kotze nicht erstickt«, sagte Simon Wolf und zündete sich eine neue Zigarette an. »Das passiert leicht, wenn man bewusstlos ist. Aber Rick hat’s geschafft. Der Mörder ist noch einmal aufgewacht. Hat noch ein paar lichte Momente. Zeit zum Erkennen.« Er stieß den Rauch in die Nacht. »Aber das wird bald vorbei sein.«
    »Du … hast mir … Gift gegeben?«, Ricks Kopf kippte auf seine Brust.
    »Nur etwas Flunitrazepam. Für einen Mittagsschlaf im Schneebett.« Wolf deutete auf den weißen Plastikbecher, der neben der Thermoskanne lag. »Es wird dich nicht umbringen.«
    Rick lachte heiser. »Was … hast du dann vor?« Sein Oberkörper schwankte leicht, und Wolf hatte Mühe, ihn zu verstehen. »Was ist das für ein … Spiel?«
    Wolf schüttelte den Kopf. »Unsere letzte Partie. Deine letzten Züge.«
    Er setzte sich auf den großen Stein und starrte in die Flammen, die prasselnd Funken in die schwarze Nacht sandten. Karins Lachen tauchte vor ihm auf. Ihre sanften Mundwinkel. Die tiefe Stirnfalte zwischen ihren blauen Augen, wenn sie sich hoch konzentriert über das Schachbrett gebeugt und ihm Bauern, Springer und Läufer abgejagt, ihn Zug um Zug in die Enge getrieben und Abend um Abend matt gesetzt hatte.
    Nach ihrem Tod hatte Wolf ihr gemeinsames Leben weitergespielt. Hatte seine Figuren bewegt. Hatte ihre Figuren bewegt. Schwarz. Weiß. Nichts empfunden. Irgendwann hatte er dabei begonnen, Karin von Rick zu erzählen. Von dem blutigen Stoffstück aus dem Wagen, das er wie ein Verbrecher besorgt hatte. Davon, dass außerdem der Wagen plötzlich verschwunden gewesen und so der einzige Beweis nicht anerkannt worden war – obwohl das deutsche Rechtssystem auch bei unkonventionellem Vorgehen Beweismittel zulassen konnte. Er berichtete ihr von dem Freispruch. Dem Sieg des Rechts über Gerechtigkeit und der Niederlage seines Ethos als Polizist. Er hatte seiner Frau Revanche versprochen. Rache. Sein Verstand war mit jeder Partie wacher, sein Plan reifer geworden. Seine Kinder, längst aus dem Haus, hatten sich bei jedem Besuch gesorgt: »Vater, du kannst doch nicht Abend für Abend mit einer Toten Schach spielen.« »Wisst ihr, es gibt etwas Gutes daran«, hatte er erwidert. »Endlich gewinne
ich
die Partien.«
    An einem düsteren Novembertag vor knapp vier Wochen war er zum ersten Mal losgezogen. Zu
Ricks Garage
. Nein, er war nicht durch Zufall in die Werkstatt gekommen.
    Wolf blickte stumm zu Rick hinüber. Er war zur

Weitere Kostenlose Bücher