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P. S. Ich töte dich

Titel: P. S. Ich töte dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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ihm krochen und wenn sein Unterbewusstsein die Erinnerung an sie mit den Bildern des Grauens vermischte, die ihm im Laufe seines Berufslebens begegnet waren. Vergewaltigungsopfer mit tiefen Schnitten in der Scheide, junge Mädchen, übersät mit blauvioletten Fessel- und Würgemalen, verstümmelte Körper, die zwischen Pizzakartons und Fleischabfällen in Müllcontainern abgelegt worden waren.
    Wenn er danach aufwachte, blieb er in dem Doppelbett liegen, nahm das zweite Kissen in den Arm, versuchte, ihren längst verflogenen Duft nach Jasmin und Nelke darin zu finden, und beschwor das letzte Bild von ihr herauf: Karin, die in dem zitronenfarbenen Sommerkleid über den blumengesäumten Weg aus dem Haus läuft, mit ihrer hellen Stimme »Bis heute Abend, Schatz« ruft und ihm eine Kusshand zuwirft.
    Danach stand er auf. Joggte zwölf Kilometer am Fluss entlang. Duschte. Rasierte sich und prüfte mit den Fingerspitzen, ob die Wangen glatt waren. Trank zwei Tassen Kaffee. Schwarz. Ohne Zucker. Anschließend nahm er seine Jacke und ging. Am Abend, wenn er zurückkehrte, holte er das Schachbrett aus dem Schrank, legte es zwischen die beiden Sessel auf den Couchtisch und stellte die sechzehn schwarzen Figuren präzise gegenüber den weißen auf.
    Rick versuchte erneut, sich aufzusetzen, stützte sich nach hinten ab und sog pfeifend Luft ein. »Ich bin … nur …«
    Sein Zittern ebbt ab, stellte Wolf fest und legte zwei neue Scheite auf das Feuer. Züngelnd fraßen sich die Flammen daran entlang. Und seine Schmerzen lassen nach. Das gestattet ihm ein paar letzte klare Gedanken.
    Schnee schob sich in seine Hosenbeine, als er wieder zu Rick trat. Er bückte sich und brachte sein Gesicht dicht vor dessen kleine Augen, roch seinen säuerlichen Atem. »Du bist ein Mörder. Stinkender Abschaum.«
    »Ich … bin freigesprochen worden!« Ricks Arme knickten ein, und er fiel zurück. Der Wind strich eine Strähne aus seinem Gesicht, das fahl im Mondlicht lag.
    Wolf richtete sich auf und verzog betont sarkastisch den Mund. »Von mir nicht. Von den Toten nicht. Und von Gott auch nicht.«
    »Du glaubst an … Gott?«, lachte Rick plötzlich auf und stieß im selben Moment einen gedehnten Schmerzensschrei aus. Das Echo trug sein Heulen über den See zurück.
    »Glauben spielt keine Rolle in meinem Job. Nur Wissen.«
    »Es gab keine Beweise.«
    »Du vergisst die Autorückbank.« Wolf dachte an den dunkel getäfelten Gerichtssaal. Das Meer von schaulustigen Köpfen vor ihm. Vorne rechts war der Staatsanwalt gesessen. Wenige Tage vor dem Prozess hatte Wolf ihm das sauber herausgetrennte Stück Polsterstoff persönlich in die Hand gedrückt, nachdem seine Kollegen nur mitleidsvoll die Köpfe geschüttelt hatten: »Nicht verwertbar, Simon.« In der Mitte hatte der Richter gethront, Ignorant, Menschenfeind und personifizierte Paragraphentreue. Er dache an das Urteil. Die Empörung in der Menge. Wolf war aufgestanden und hinausgegangen. Kein Hass. Keine Rebellion. Nur ein einzelner Weltuntergang. Der Beginn seines inneren Erfrierens.
    »Du warst … ein Scheißbulle.« Rick klang verächtlich.
    »Ich war ihr Ehemann.« Einer, der den Mord an seiner Frau auf eigene Faust hatte klären wollen. Der Beweise auf illegalem Weg besorgt hatte, weil er von der Ermittlung wegen Befangenheit ausgeschlossen worden war. Ein Verzweifelter, der Nacht für Nacht vor
Ricks Garage
gestanden, nichts gegessen, sich nicht mehr gepflegt und in seiner hilflosen Wut Kollegen angegriffen hatte. Schließlich war ihm nichts anderes mehr übriggeblieben, als das Rolltor der Werkstatt aufzubrechen und in den Wagen einzudringen, in dessen Rücksitz das Blut seiner Frau gesickert war. Weder Vernunft noch Gesetz hatte ihn aufhalten können.
    Als er am Abend der Verhandlung nach Hause gekommen war, hatte er sich an Karins alte Schreibmaschine gesetzt und seine Kündigung geschrieben. »Simon, Alter, spinn doch nicht«, sagten die Kollegen vom Dezernat 11, »das wird schon wieder. Du hast doch selbst schon zig Angehörige von Mordopfern erlebt. Die haben das alle irgendwie gepackt. Es gibt hier doch Hilfen.« Wolf gab sich eine Chance. Er legte das Blatt in die oberste Schublade seines Schreibtisches und schloss sie ab. Dann ging er zum Polizeipsychologen. Doch die Gespräche mit dem geschniegelten Doktor machten ihn nur wütend. Er hatte nichts verstanden. Das Hirn vollgepumpt mit wissenschaftlichen Thesen und das Herz so vertrocknet wie eine Oase nach jahrelanger

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