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P. S. Ich töte dich

Titel: P. S. Ich töte dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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bedeuten und vermutlich nichts mit seinem Tod zu tun hatten.
    Alle diese Einwände waren jedoch nur geringfügig, verglichen mit dem Haupteinwand, dass es sich bei dem Opfer um einen Einbrecher handelte, der beim Verüben einer Straftat ums Leben gekommen war. Er hatte wiederholte Male Straftaten begangen, die den Angeklagten schwer geschädigt hatten. Würde es die Geschworenen überhaupt kümmern, dass ihm Nikolai Servan eine tödliche Falle gestellt hatte? Wahrscheinlich nicht. Diese Vermutung äußerte jedenfalls der Staatsanwalt gegenüber Bosch und Edgar.
    Bosch hatte vor, am folgenden Morgen das Leihhaus ein weiteres Mal aufzusuchen. Seiner Ansicht nach gab es Gerechtigkeit entweder für alle oder niemanden. Das schloss auch Einbrecher ein. Er würde so lange suchen, bis er die Dietriche oder die Kabel gefunden hatte, mit denen Servan Monty Kelman umgebracht hatte.
    Als er sich dem Haupteingang der Seniorenresidenz näherte, fiel ihm auf, dass sie nicht sonderlich schick wirkte. Das Gebäude sah aus wie die letzte Station für Leute, die länger lebten als geplant, wie zum Beispiel Quentin McKinzie. Wenige Jazzmusiker und Junkies wurden so alt. Wahrscheinlich hatte er es sich nie träumen lassen, so weit zu kommen. Wie Bosch aus dem Melderegister in Erfahrung gebracht hatte, war McKinzie 72 Jahre alt.
    Bosch trat ein und ging zum Empfangstresen. Es roch wie in den meisten kostengünstigen Altenheimen, die er besucht hatte. Urin und Verfall, das Ende aller Hoffnungen und Träume. Er erkundigte sich nach Quentin McKinzies Zimmer. Die Frau hinter dem Tresen betrachtete misstrauisch das Saxophon unter Boschs Arm.
    »Haben Sie einen Termin?«, fragte sie. »Besuche am Abend sind nur nach vorheriger Absprache möglich.«
    »Damit Sie noch rasch ein bisschen putzen können, bevor die Kinder vorbeikommen, um ihren lieben alten Dad zu besuchen?«
    »Wie bitte?«
    »Ich brauche keinen Termin. Wo steckt Mr. McKinzie?«
    Er hielt ihr seine Dienstmarke unter die Nase. Sie betrachtete sie lange – länger, als sie zum Lesen benötigte – und räusperte sich dann.
    »Er wohnt in Zimmer 107. Den Gang entlang auf der linken Seite. Wahrscheinlich schläft er.«
    Bosch nickte dankend und ging den Gang entlang.
    Die Tür von 107 stand einen Spalt weit offen. Das Licht im Zimmer brannte, und Bosch hörte, dass ein Fernseher lief. Er klopfte leise, aber niemand reagierte. Langsam öffnete er die Tür und steckte seinen Kopf ins Zimmer. Er sah einen alten Mann, der auf einem Sessel neben dem Bett saß. Ein Fernseher, der weit oben an der gegenüberliegenden Wand angebracht war, lief mit halber Lautstärke. Die Augen des alten Mannes waren geschlossen. Er war hager und ausgezehrt und nahm nur die Hälfte des Sessels ein. Seine schwarze Haut war wie von grauem Puder überzogen. Trotz des hageren Gesichts und der Haut, die in Falten unter seinem Kinn hing, erkannte ihn Bosch. Es war Sugar Ray McK.
    Er trat ein und ging leise um das Bett herum. Der Mann bewegte sich nicht. Bosch blieb einen Augenblick lang unschlüssig stehen. Er beschloss, den Mann nicht zu wecken. Er stellte den Ständer in die Ecke des Zimmers. Dann verstaute er das Instrument in der Halterung. Er richtete sich wieder auf, warf einen weiteren Blick auf den schlafenden Jazzmusiker und nickte ihm zu, ein unbemerkter Dank. Als er das Zimmer verließ, streckte er die Hand aus und stellte den Fernseher ab.
    An der Tür hielt ihn eine rauhe Stimme auf:
    »He!«
    Bosch drehte sich um. Sugar Ray war wach und schaute ihn mit wässrigen Augen an.
    »Sie haben meine Kiste ausgemacht.«
    »Tut mir leid, ich dachte, Sie schlafen.«
    Er ging ins Zimmer zurück und streckte die Hand aus, um den Fernseher wieder anzumachen.
    »Wer sind Sie, Junge? Sie arbeiten doch nicht hier.«
    Bosch drehte sich um und sah ihn an.
    »Ich heiße Harry. Harry Bosch. Ich bin gekommen …«
    Sugar Ray fiel das Saxophon in der Ecke des Zimmers auf.
    »Das ist mein Sax.«
    Bosch nahm das Saxophon aus der Halterung und reichte es ihm. »Ich habe es gefunden. Ich habe gesehen, dass Ihr Name darin steht, und wollte es Ihnen zurückgeben.«
    Der Mann hielt das Instrument so vorsichtig wie ein neugeborenes Baby. Langsam betrachtete er es von allen Seiten. Suchte er nach Defekten, oder schaute er es nur an, wie man eine Geliebte anschaut, die einen vor Jahren verlassen hat? Bosch hatte plötzlich einen Kloß im Hals, als der Jazzmusiker das Mundstück an die Lippen setzte, es anleckte und dann zwischen

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