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P. S. Ich töte dich

Titel: P. S. Ich töte dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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den Zähnen hielt. Sein Brustkorb hob sich, als er Luft holte.
    Aber als sich seine Finger bewegten und er blies, entwich die Luft zwischen den schwachen Lippen, die das Mundstück nicht vollkommen zu umschließen vermochten. Sugar Ray schloss die Augen und versuchte es erneut – mit demselben Ergebnis. Er war zu alt und zu schwach. Seine Lungen waren kaputt. Er konnte nicht mehr spielen.
    »Schon in Ordnung«, sagte Bosch, »Sie brauchen nicht zu spielen. Ich dachte nur, dass Sie es zurückbekommen sollten, das ist alles.«
    Sugar Ray hielt das Instrument auf dem Schoß, als wolle er es beschützen. Er sah zu Bosch hoch.
    »Wo haben Sie das her, Harry Bosch?«
    »Ich habe es von einem Typen, der es in einem Leihhaus gestohlen hatte.«
    Sugar Ray nickte, als hätte er diese Geschichte bereits gehört.
    »Hat man Ihnen das Saxophon gestohlen?«, fragte Bosch.
    »Nein. Ich habe es verpfänden lassen. Einer der Angestellten hier hat das für mich erledigt. Ich brauchte Geld für den Fernseher. Ich bin nicht gerne mit den anderen im Aufenthaltsraum. Das sind doch alles nur Selbstmordkandidaten. Ich brauchte meinen eigenen.«
    Er schüttelte den Kopf und schaute zu dem Fernseher an der Wand über Boschs Schulter hoch.
    »Man stelle sich vor, ein Mann tauscht die Liebe seines Lebens für so etwas ein.«
    Bosch drehte sich ebenfalls zu der Mattscheibe um und sah einen Werbespot, in dem der Weihnachtsmann ein kaltes Bier trank, nachdem er eine ganze Nacht lang Geschenke unter die Leute gebracht hatte. Er drehte sich wieder zu Sugar Ray um. Er wusste nicht, ob ihm bei dem, was er getan hatte, wohl sein sollte oder nicht. Er hatte einem Musiker sein Instrument zurückgegeben, aber der konnte nicht mehr darauf spielen.
    Er stand noch unentschlossen da, als er sah, dass Sugar Ray das Saxophon ans Herz drückte. Er hielt es so fest, als sei es alles, was er noch auf dieser Welt hatte. Er sah Bosch an, und dieser konnte in seinen Augen lesen, dass er das Richtige getan hatte.
    »Fröhliche Weihnachten, Sugar Ray.«
    Sugar Ray nickte und schaute zu Boden. Bosch fand es angezeigt, ihn allein zu lassen. Er streckte die Hand aus und fasste
     einen Moment lang seine Schulter.
    »Warum?«, fragte Sugar Ray.
    »Warum was?«
    »Warum haben Sie das für mich getan? Wollten Sie Weihnachtsmann spielen oder was?«
    Bosch lächelte und kniete sich neben den Sessel. Er konnte dem alten Mann jetzt in die Augen schauen. »Ich habe es getan, um etwas wiedergutzumachen, glaube ich.«
    Der alte Mann sah ihn einfach nur an und wartete.
    »Im Dezember 1969 befand ich mich auf einem Lazarettschiff im Südchinesischen Meer.«
    Bosch berührte seine linke Taille.
    »Ich war vier Tage vorher in einem Tunnel in einen angespitzten Bambus gelaufen. Sie erinnern sich vermutlich nicht mehr daran, aber …«
    »Das war die USS Sanctuary, die vor Danang lag. Natürlich erinnere ich mich. Sie waren einer der Burschen in den blauen Morgenmänteln, nicht wahr?« Sugar Ray lächelte.
    Bosch nickte und fuhr fort:
    »Ich erinnere mich noch, dass die Show abgesagt wurde, weil die See zu wild und der Nebel zu dicht war. Die großen Hueys mit der Ausrüstung konnten nicht landen. Wir hatten alle an Deck gewartet. Wir sahen, wie die Hubschrauber aus dem Nebel auftauchten und dann wieder umkehrten.«
    Sugar Ray hob einen Finger.
    »Wissen Sie, dass es Mr. Bob Hope war, der unseren Piloten anwies, das Ding noch einmal zu wenden und auf dem Schiff zu landen?«
    Bosch nickte. Er hatte gehört, dass es Hope gewesen war. Ein Hubschrauber hatte wieder kehrtgemacht und war zur Sanctuary zurückgekommen. Der kleine, der mit den großen Namen an Bord.
    »Ich erinnere mich, dass es Bob Hope, Connie Stevens, Sie und dieses wahnsinnig hübsche schwarze Girl aus der TV -Show waren.«
    »Teresa Graves aus der Sendung Laugh-In.«
    »Sie erinnern sich wirklich an alles.«
    »Bloß weil ich alt bin, heißt das noch lange nicht, dass ich mich an nichts mehr erinnern kann. Der Mann im Mond war ebenfalls da.«
    Bosch lächelte. Sugar Ray wusste noch Dinge, die er längst vergessen hatte.
    »Neil Armstrong, richtig. Aber der Rest der Band, die Playboy All-Stars, saß in einem anderen Hubschrauber, der nach Danang zurückflog. Nur Sie kamen, und Sie hatten Ihr Saxophon dabei. Sie haben für uns gespielt. Solo.«
    Bosch betrachtete das Instrument in den grauen Händen des Alten. Er erinnerte sich an den Tag auf der Sanctuary so deutlich wie an jeden anderen Moment seines Lebens.
    »Sie haben

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