P., Thomas
spätestens mit dieser Liste eines fest:
Ich war so gut wie tot!
6.
Die von mir belasteten »Brüder« wurden allesamt - bis auf
einen - auf dem Rückweg vom Euro-Run der Hells Angels in einer konzertierten
Aktion festgenommen. Die Polizei hatte wohl aus Sicherheitsgründen das Ende
des Treffens abgewartet, denn eine Rockerparty mit knapp 2000 Bikern zu stören
wäre wohl auch den besten SEKs zu heiß gewesen. So schlugen die Bullen auf
einer Autobahnraststätte zu, und fast das halbe Charter West Side wanderte an
jenem Tag in Untersuchungshaft. Da sich einer der Jungs auf der Flucht befand,
mussten seine Kumpels wegen der »Verdunklungsgefahr« bis zum Prozessbeginn in
Untersuchungshaft bleiben, was uns »Verrätern« natürlich nur recht sein konnte.
Zeitgleich zu ihrer Festnahme durchsuchte die Polizei auch noch den Angels
Place in Bremen. Dort fand man sogenannte Betäubungsmittel — so viel zum Thema
World Rules - und natürlich ein ganzes Arsenal an Hieb-, Stich- und
Schusswaffen, wobei einige Waffen offenkundig bei einem Überfall auf ein
Waffengeschäft in Ostwestfalen erbeutet worden waren. So wurde jedenfalls
berichtet. Mir war das völlig gleichgültig. Während meine »Brüder« vermutlich
gerade erkennungsdienstlich aufgenommen wurden, befand ich mich mit Beamten
des Landeskriminalamtes auf dem Weg zu einem mir unbekannten Ort: einem Rasthof
irgendwo nördlich von Bremen.
Als die Tür des Zivilfahrzeugs der LKA-Leute aufging,
stürmte die Tochter meiner Freundin auf mich zu. Das kleine Mädchen rief:
»Papa! Papa!« Zum ersten Mal in ihrem Leben nannte mich das kleine Kind Papa.
Sie hatte sich mich für diesen wichtigen Part in ihrem Leben ausgesucht. Dieses
Kind war jetzt meine Tochter! Mein Kind!
Ich umarmte Melanie und die Kleine. Und dann weinten wir
alle drei — beobachtet von Kriminalbeamten, die besorgt auf eine schnelle
Weiterreise drängten. Wir mussten schnellstens in Sicherheit gebracht werden.
Unsere Wohnung, unsere Freunde, überhaupt alles, was uns bis dahin wichtig
gewesen war in unserem Leben, sollten wir nie wiedersehen. Nach meiner Aussage
bei der Polizei begannen sofort die Schutzmaßnahmen für Melanie und unsere
Tochter. Das Leben der beiden wurde gleichsam auf die Sekunde mit meiner Unterschrift
unter das Aussageprotokoll auf den Kopf gestellt. Schluss, aus! Wir existierten
nicht mehr. Drei Leben, einfach gelöscht - aber wenigstens nicht ausgelöscht.
Denn das war es wohl, was die Hells Angels von da an mit uns vorhatten. Mit
einer einzigen Unterschrift war das Verhältnis von Melanie zu ihren Eltern
besiegelt. Eine Unterschrift, und unser Mädchen hatte im Grunde keine
Großeltern mehr. Keine Freunde, kein Zuhause, nichts. Es war, als würde man die
»Delete«-Taste auf einer Computertastatur drücken. Aus, fertig, vorbei, die
Festplatte wurde neu formatiert.
Dass wir in den folgenden zwei Wochen nur ein paar
Kilometer außerhalb von Bremen untergebracht wurden, war nicht die Art von
Nervenkitzel, die wir zu jener Zeit gebraucht hätten. Und wenn das die »Brüder«
vom Charter West Side gewusst hätten, wäre die Sache damals wohl ein wenig
anders ausgegangen. Aber sie fanden es zum Glück nicht heraus. Und heute
dürften sie sich in den Hintern beißen, denn näher als damals sollten wir der
Stadt Bremen bis heute niemals wieder kommen...
14. Der Kronzeuge: Im Namen des
Volkes?
1.
Nach den zwei Wochen in der Nähe von Bremen wurden wir an
einen geheimen Ort gebracht, den ich selbstverständlich auch heute nicht
nennen darf. Wie es mir überhaupt verboten wurde, über das Zeugenschutzprogramm
zu sprechen. Weder mit etwaigen neuen Freunden oder Bekannten noch mit den
Verwandten am Telefon, die wir bestenfalls mit unterdrückter Nummer anrufen.
Und schon gar nicht in diesem Buch.
Wir waren im Nirgendwo und warteten auf den Prozess, den
ich als Kronzeuge noch hinter mich bringen musste. Und nun ging es endlich
los. Die ersten Termine standen fest, und eines Morgens ging es dann los. Von
unseren Personenschützern wurde ich zu einem geheimen Treffpunkt gefahren. Von
dort brachten mich ein paar SEK-Beamte zum Prozess nach Hannover. Nicht einmal
die Beamten des Spezialeinsatzkommandos durften wissen, wo wir uns aufhielten.
Die Geheimhaltung, der wir unterstellt waren, durchzog alle Instanzen. Nur
eine kleine Handvoll von speziell ausgebildeten Personenschützern durfte uns
wirklich nahe kommen.
Noch bevor ich in den Zivilwagen der Polizisten
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