Paarungszeit: Roman (German Edition)
Plattform, nicht auf der oberen, die Cedric kurz nach ihr erreichte. Lucien, erläuterte ihr Cedric atemlos japsend, habe bei seinen Spaziergängen durch den Wald Susn schon öfter auf diesem Turm gesehen, auf der oberen Plattform, in ihr Heft vertieft, und er habe gedacht …
Cedric und sie sahen einander an, keuchend, verschwitzt, besorgt. So viele Gedanken, die durch Thereses Hirn schossen: dass Tour auf Französisch wohl Turm heißen musste, dass ihre Stiefel sie umbrachten, dass ihr Cedric viel lieber war als dieser … Himmiherrgott! Ihr Herz schlug Kapriolen, und in ihrem Hirn klopfte eine Idee gegen eine noch versperrte Tür, hämmerte, pochte, Tour heißt Turm, Susn ist verliebt …
»Diebstahl! Du bist verhaftet, Bürscherl!« Fredl sprang vom Sitz eines Traktors – der Traktor vom Micha! –, ging gerade noch rechtzeitig in Deckung vor der auf ihn zurasenden Kuh, auf deren Rücken – war ihren Augen zu trauen? – ihr Bruder Hartl saß. Mit einem »Susn? Ist sie hier?« sprengte Hartl auf den Turm zu. Treppab polterte Therese, Hartl entgegen, auch der Kuh, deren Name ihr jetzt einfiel: Regula. Kruzifix, was dachte sie jetzt an Kuhnamen, und was taten sie hier, warum hatte noch niemand die Tür zu Susns Wohnung aufgebrochen? Quirin habe es eben getan, erklärte Hartl ihr jetzt, immer noch auf Regulas Rücken, sein Telefon in der Hand. In der Wohnung sei niemand, auch sonst nichts Auffälliges, nur ein paar Kleidungsstücke seien verstreut. Wie damals, als Susn, vierjährig, ihren Koffer packte und in die Tauchschule ziehen wollte. Und neun Jahre später war das Madl, zum ersten Mal verliebt und außer sich vor Liebeskummer, samt Rucksack verschwunden, einen ganzen Nachmittag und Abend lang. Gefunden hatten sie Susn im Glockenturm der alten …
Freilich! Liebeskummer! Tour! Turm! Dies war die Idee, die gegen die versperrte Tür ihres Hirns geklopft und gepocht hatte, schon hatte sie Fredl beiseitegestoßen, mit der ganzen Kraft ihrer mütterlichen Liebe, hatte das Motorrad bestiegen. »Die Kirche! Die oide! Lucien! Hartl! Pack ma’s! Gradaus! Durch die Büsche!«
26.
A ls ich das Geknatter hörte, die brechenden Zweige, die Stimmen, hatte ich es längst aufgegeben zu rufen. Ich wusste, alle würden beim Rededuell sein, keine Nordic-Walking-Kolonie würde zufällig vorbeikommen. Wobei die Nordic-Walking-Kolonien ohnehin diesen Forstweg mieden, wegen der vielen Baggerlöcher. Ich stand auf von der Liege, auf der ich geruht, ja sogar geschlafen hatte – ich hatte geträumt, seltsam friedlich, von Zopodil und Xanthippe, wie sie einander umtanzten in dieser dringlichen, leidenschaftlichen Choreographie. Jetzt schob ich die Wolldecke weg und ging zum Fenster. Falls man die kreisrunde, mit Plastik bedeckte Öffnung in der dicken Mauer so bezeichnen wollte. Schon gestern hatte ich das Plastik beiseitegezogen, nachdem ich mich erst keuchend an der Wand entlanggetastet hatte, mich langsam ans Dunkel gewöhnend. Auf die Öffnung, ein Grauschimmer in Schwarz, war ich zugestolpert, im Vorbeistreifen eine Baulampe umstoßend. Eine Baulampe, an der ich einen Schalter fand. Der gelbliche Lichtschein bestrahlte eine zweite Baulampe. Und deren Lichtschein ein Brett, das jemand über zwei Backsteine gelegt hatte. Auf dem Brett eine Tüte Brezn aus der Mohnauer Bäckerei. In der Ecke eine Gartenliege, darauf, säuberlich zusammengelegt, eine Wolldecke. Beinahe wie im Hotel. Bis auf die Tatsache, dass die Tür nach außen abgeschlossen war. Und die kleine Tafel Schokolade auf dem Kopfkissen fehlte. Genau genommen auch das Kopfkissen. Der Fernseher. Und das Telefon. Ein Kasten Wasser stand in der Ecke, angebrochene Flaschen, auch frische. Hinter einem Türrahmen ein noch rudimentäres Bad, Stapel von Kacheln, Werkzeug. Zwei volle Eimer Wasser. Ein Klosett mit Spülkasten. Man konnte es hier aushalten. Wie lange? Meine Tasche, samt Handy und Wohnungsschlüssel, war weg, der nach Schweiß riechende Mensch musste sie mir abgenommen haben. Wann würde sich der erste Spaziergänger hierherverirren? Und wer, zum Teufel, hielt mich hier gefangen? Alexander Strobl? Um nachher höchstpersönlich vorbeizukommen? Eine späte Rache für meine Flucht aus seinem Porsche? Oder für unser Geknutsche an eben jenem Porsche und den Kratzer an seiner Stoßstange? War ihm so etwas tatsächlich zuzutrauen?
Ich riss die Plastikplane vom Fenster und rief um Hilfe. Natürlich antwortete niemand. Außer einer Waldohreule, die mich vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher