Paarungszeit: Roman (German Edition)
telefonierend gelehnt hatte, und ging zurück in die Kaisersuite. Über dem Sofa führte ein Staubkörnchenensemble ein kleines Ballett auf. Sie setzte sich an den Schreibtisch, notierte: Kathi! Regelmäßig saugen! auf den bereitliegenden Block. Wenn sie keine Gäste hatte, machte sie die Kaisersuite zu ihrem Büro, sie war so viel komfortabler und schöner als der winzige Raum hinter der Empfangstheke. Sie schaltete den Laptop ein. Eine kompakte Figur – Brust, Schultern, Hut – spiegelte sich auf dem Display, hinter der Google-Seite, die sich in aller Neuenthaler Behäbigkeit aufbaute. Ob sie den Wählern versprechen sollte, für einen Highspeed-Zugang zu kämpfen? Nein. Noch nicht einmal Mohnau hatte einen, und Therese Engler machte keine falschen Wahlversprechen.
Sie klickte auf YouTube, gab »A typical bavarian Feuerwehrfest« ein. Das Video erschien – jedenfalls für Neuenthaler Verhältnisse – sofort. Mit dem von ihrem Neffen entworfenen Logo: Neuenthal is the world. Und darunter: Tradition braucht Zukunft, Therese Engler für Neuenthal. Ihr Neffe hatte einen ganzen Tag und eine Nacht gebraucht, um das Video hochzuladen, und die Hochlade-Aktion hatte das Netz der näheren Umgebung lahmgelegt. Aber es hatte sich gelohnt! Jedenfalls beinahe. Seit gestern waren vier Klicks dazugekommen. Immerhin. Sie ließ den Clip nicht laufen, erstens wollte sie ein realistisches statistisches Ergebnis, zweitens blieb der Film sowieso ständig hängen, und drittens hatte sie die verwackelten Aufnahmen des Auftritts der Neuenthaler Feuerwehrkapelle oft genug gesehen.
Trotzdem: Alles in allem eine gute Aktion. Wenn man bedachte, unter welchen Umständen sie dazu genötigt worden war. Angefangen hatte alles mit dem Foto, das in der Feuerwehrkneipe an der Wand hing. Es zeigte einige Teilnehmerinnen der legendären Negligé-Party vom letzten Frühjahr, unter anderem auch die parteilose Kandidatin für das Amt des Bürgermeisters, Therese Engler. In einem weißen Satinunterrock mit Edelweißmotiv. Die beste Reklame für ihren Laden und ihren dirndlfüllenden Bug. Alle Teilnehmerinnen – Frauen in Unterröcken oder Nachthemden hatten freien Eintritt gehabt, eine vielleicht nicht unbedingt geschmackvolle, aber harmlose Gaudi – hielten das Sektglas in der Hand, das sie zum Empfang bekommen hatten. Natürlich kein Mumm-Sekt oder gar Fürst Metternich. Mit Faber für 2,99 Euro pro Flasche war Anderls Maß an Großzügigkeit schon mehr als erfüllt. Dafür zeigte sich die Neuenthaler Damenwelt um einiges großzügiger, was tiefe Ausschnitte, enge Korsetts und Babydolls betraf. Therese hatte sich in ihrem anständigen Unterrock nicht allzu wohl gefühlt und war nach Hause gegangen, bevor die Party eskalierte. Allein in ihrem Schlafzimmer hatte sie Willie Nelson gehört: I’m a Rollin Stone, all alone and lost. Der Mann wusste, wie das Leben war. Als ob er auch schon einmal in einem weißen Edelweiß-Unterrock an einem Fenster gestanden und in den Nachthimmel geschaut hätte, ein Stamperl Kräuterlikör in der Hand.
An das Negligé-Party-Foto in der Feuerwehrkneipe hatte sie nicht mehr gedacht, bis Fredl Weidinger erst die Strobls, dann den Bürgermeister, den Pfarrer und Girgl vom Kreisblatt darauf aufmerksam gemacht hatte: Ein Skandal! Zwei Tage später war das Bild verschwunden, und Anderl hatte im Edekamarkt die eine oder andere Andeutung fallenlassen, dass Therese Engler ihm einen Gefallen schuldig sei. Was eine Therese Engler natürlich nicht auf sich sitzenlassen konnte! Sie hatte immer ihre Schulden bezahlt.
Und wieder hatte das Zwei-Fliegen-mit-einer-Klappe-Prinzip ausgezeichnet funktioniert: Sie hatte die Feuerwehrkapelle einer breiten Öffentlichkeit präsentiert und ihr Logo dazu, die Aktion hatte sich weit über die Grenzen Neuenthals herumgesprochen, und die Kandidatin hatte auch etwas davon gehabt. Sie notierte die neue Klickzahl, schloss das YouTube-Fenster, in dem Anderl erstarrt war – auf seinem Bierzelt-Klappstuhl, seine Tuba auf dem Schoß.
Es war albern, sich umzudrehen und einen raschen Kontrollblick durchs Zimmer zu werfen, bevor sie ihren Geheimordner Tourismusbroschüre öffnete. Sie, Therese Engler, konnte hier in ihrer Kaisersuite tun, was sie wollte. Auch etwas schreiben, was keinem prüfenden Gruppenblick standhalten würde. Einen Moment zögerte sie, die Finger über den Tasten, überflog die letzten Zeilen der Datei Nachtleben in Neuenthal. Schon lange ärgerten sie die blumigen Mohnauer
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