Paarungszeit: Roman (German Edition)
rutschende Teller, abstellen musste ich das Tablett, abstellen auf der einzigen Fläche, die sich mir bot: der Abdeckung des Aquariums. Etwas unsanfter als geplant.
»Verdammt, Susn, bist du wahnsinnig?«, schrie Timo, nahm das Tablett herunter, ein Glas fiel, natürlich das volle, die Platte rutschte, Radieschen hüpften über den Teppich, als er das Tablett achtlos auf dem Boden abstellte, um sich sofort wieder dem Aquarium zuzuwenden. Zopodil schoss hin und her, prallte gegen das Glas, dann gegen die Abdeckung, so lange, bis Timo ihn herausfischte und in dem kleinen Becken isolierte, in das Zopodil schon öfter verbannt worden war, um in aller Ruhe wieder zu sich selbst zu finden. Was ihm diesmal nicht gelingen wollte. Vielleicht, dachte ich, während ich unter gestammelten Entschuldigungen Radieschen vom Boden klaubte, hatte Zopodil nicht nur das Herunterkrachen des Tabletts aus dem Balztanz geworfen, vielleicht beängstigte ihn auch Nefertitis unerwartete Anschmiegsamkeit. Verschwommen erinnerte ich mich an den Stoff meines einzigen Psychologieseminars an der Uni, über Verschlingungsängste bei Männern. Wobei Verschlingungsängste bei Fischen sozusagen zum Alltag gehören mussten, nicht nur in freier Wildbahn. Auch hier im Aquarium war schon das eine oder andere friedfertige Exemplar spurlos verschwunden, während andere, weniger friedfertige Exemplare mit einem Jetzt-fehlt-nur-noch-eine-leckere-Nachspeise-Gesichtsausdruck umherschwammen.
Ich richtete mich auf. Timo sah mich an, fassungslos, auch eine Spur Entsetzen im Blick. Als wäre ich nicht seine Susn in schicker Bluse, Bodysuit und Jeansrock, sondern etwas Bedrohliches wie eine giftige Alge. Ich bereute meine nächste Frage schon in dem Moment, als ich sie aussprach:
»Was ist dir lieber? Die Fische oder ich?«
Bestimmt zwanzig Sekunden standen wir einander stumm gegenüber, unter den neugierigen, vielleicht auch mitfühlenden Blicken von Zackenbarschen, Bartwelsen und Malawis aus den umliegenden Aquarien. Dann streckte Timo die Hand aus und berührte meine Schulter.
»Nicht weinen, Schatz, es tut mir leid!«
Einige zarte Küsse, einen glühenden Vortrag über die Wichtigkeit dieser Paarung und eine Teppichsäuberungsaktion später half ich ihm schon, die bedröppelte Nefertiti zu trösten. Mit lebenden Wasserasseln aus der Zuchtschale, vor denen ich mich normalerweise ekelte. Uns verwöhnte ich mit der schnell wiederhergerichteten Brotzeitplatte und einer frischen Flasche Sekt, nachdem ich mein Gesicht gewaschen, die Locken etwas gezähmt und mich umgezogen hatte, mich wieder so präsentierte, wie Timo mich am liebsten sah, ganz natürlich, in Jeans und Sweatshirt. Und ebenso natürlich, erklärte mir Timo, sähe er mich auch auf unserer Hochzeit, eine Wildblume mit Locken, in einem romantischen Kleid. Eine Weile blätterten wir gemeinsam in Hochzeitsmagazinen. Wobei Timo auffallend oft mit den Blicken am Modell Sissi hängenblieb. Ein Modell, das, wie es im Katalog hieß, hervorragend zu zart bis zerbrechlich gebauten Frauen passte, weniger zu einem robusten Pinguin. Der eigentlich eine Wildblume war. Was für ein süßer Vergleich. Getröstet legte ich den Kopf an Timos Schulter. Worauf Timo gähnte, sein halbvolles Sektglas wegschob. Er müsse am nächsten Morgen ja wieder so barbarisch früh raus, er lese jetzt im Bett noch ein wenig im Aquaristikmagazin. Damit küsste er mich auf die Wange und verschwand. Ohne mich zu fragen, ob ich auch ins Bett kommen wolle.
Eine Weile hörte ich dem Rauschen der Dusche zu, nippte an Timos Glas, überlegte, ob ich mich nicht einfach in all meiner Wildblumennatürlichkeit zu ihm unter die Dusche stellen sollte. Stumm und sehnsüchtig. Wie Nefertiti im Schaumnest. Wobei die Sache für Nefertiti ja auch nicht gut ausgegangen war.
Bevor ich mich entscheiden konnte, fiel die Schlafzimmertür zu. Ich brachte das Essen – ich hatte es geschafft, kaum etwas anzurühren! – zurück in die Küche, trank Timos Glas leer. Und füllte mein eigenes. Nefertiti glubschte hinter einer Wasserpflanze hervor. Lag es am Sekt, dass mir ihr Blick plötzlich weise und traurig vorkam? Als wüsste sie um die Vergeblichkeit aller weiblichen Mühen und Listen. Aber sie war nicht allein mit der Schmach, die anderen Weibchen des Harems, Priya und Xantippe, die Timo wieder zu ihr ins Becken gesetzt hatte, schwänzelten schwesterlich um sie herum. Ich holte das Telefon, wählte Ginas Nummer. Die Zahlen verschwammen vor meinen Augen,
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