Paarungszeit: Roman (German Edition)
zu begegnen. Auch wenn einem kein bisschen würdevoll zumute war.
»Dann erledigen wir am besten gleich die Formalitäten«, sagte sie zu dem jüngeren Mann, der nach den Zimmern gefragt hatte, und er nickte, folgte ihr zum Empfangstresen. Er trug eine Brille, hinter den Gläsern leuchteten helle, wache Augen. Mit nur leicht zitternden Händen griff sie nach den Empfangsformularen, schob ihm drei hinüber.
»Wenn Sie mir das bitte ausfüllen …«
»Selbstverständlich, Madame, ich brauche aber nur eins. Es geht alles auf den Namen Delphine de Brulée.«
11.
I n den Aquarien brannte das Nachtlicht. Ein bläulicher Mondsimulator, der, wie Timo mir erklärt hatte, dafür sorgte, dass sich die Fische im Aquarium nachts nicht verloren fühlten. Aber Zopodil wirkte durchaus verloren. Blau fluoreszierend, blauer als der Fischmond, stand er im Wasser, wedelte melancholisch mit den Flossen und hatte eindeutig den Midnight-Blues. Vielleicht war die zartere Seite seiner Kampffischseele ja nur durch eine traumatische Kindheit im Zoogeschäft verschüttet. Heute hatte Timo ihn wieder ins große Becken zu seinen Weibchen gesetzt, eine heikle Situation, in der alles möglich war: zerfetzte Flossen, gebrochene Herzen, Zickenkrieg. Aber nichts dergleichen war passiert, Zopodils Harem hatte sich friedlich und solidarisch zu einer Lagebesprechung in den Blumentopf zurückgezogen und ihren Pascha allein zwischen den Pflanzen zurückgelassen. Was Timo mit größter Besorgnis erfüllte. Den gesamten Nachmittag hatte er abwechselnd vor dem 60-Liter-Becken und im Fischforum verbracht und war abends nur durch Drohungen und Tränen zu bewegen gewesen, mit ins Chez Lutz zu kommen. Wo meine Eltern händchenhaltend und, wie es aussah, neu verliebt am Tisch saßen und Rotwein becherten. Womit hatte ich das verdient? Thereses verlegene Redseligkeit, Matthias Glatthalers gerührt-verschwommenen Blick? Mit dem er erst mich ansah, um dann in Thereses Ausschnitt zu schauen und zu murmeln, er wisse jetzt erst, wie viel er versäumt habe. Ging es noch peinlicher? Oh ja, es ging.
Seufzend drehte ich mich auf die andere Seite, versuchte dabei, Timo nicht zu wecken. Aus Sorge um die Fische schliefen wir heute Nacht im Wohnzimmer, und das Ledersofa war eng, zu eng für zwei. Ich verschränkte die Arme unter dem Kopf und starrte an die Decke.
Oh Gott, wenn ich nur daran dachte! Wie Therese und Matthias Glatthaler bei einem halben Liter Mohnauer Charmeur in trauter Einigkeit und einander liebevoll korrigierend erzählten, wie sie mich gezeugt hatten. Auf einem Baum. Nein, nein, nicht im Freien, es war eine Hütte, nicht wahr, Matt – sie nannte ihn Matt! – ein Baumhaus eben. Aber es war kalt.
Wirklich, Therese, zehn Grad unter null? Es kam mir gar nicht so vor.
Die Geschichte war mir schon immer peinlich gewesen, auch wenn Therese sie als Solo-Nummer zum Besten gab. Aber früher hatte sie wenigstens nur verlegene Andeutungen gemacht. Das erste Mal hatte sie davon angefangen, als ich ungefähr sechs gewesen war, kurz vor dem ersten und einzigen Besuch von Matthias Glatthaler in Neuenthal.
»Weißt Susn, wenn zwoa sich treffen und ganz liab ham, dann kanns scho mal passiern … auch wenns ned verheiratet san.« Danach fragte sie mich, ob ich wüsste, woher die Küken unserer Nachbarin Resi kämen oder die Jungen meiner Stallhasen, und als Matthias Glatthaler schließlich vor der Tür stand, leicht verlegen und mit geschorenen Locken, erwartete ich jeden Moment, dass er Therese von hinten anspringen würde wie Resis Gockel die Hennen. Was er zu meiner Erleichterung nicht tat. Er stellte die üblichen Erwachsenenfragen, und weil er dazu Süßigkeiten mitbrachte und nett war, antwortete ich bereitwillig, erzählte ihm von meiner neuen Karriere als Schneeflocke beim kommenden Schneeflockentanz der Kindersportgruppe. Eine Aussicht, von der ich ebenso fasziniert war wie von meinen beiden wackelnden Vorderzähnen. Einer von beiden erlag im Laufe des Nachmittags dem Gummibärchen- und Karamellbonbon-Ansturm, und begeistert rannte ich zur Tauchschule, um Onkel Hartl meine neue Zahnlücke zu zeigen. Damals konnte mich nichts und niemand von der Überzeugung abbringen, Onkel Hartl sei mein Vater. Eine Überzeugung, bei der ich auch nach Quirins hartnäckigen Aufklärungsversuchen geblieben war.
Das nächste Mal sah ich Matthias Glatthaler, als er mich überraschend einlud, in den Ferien zu ihm zu kommen. Ich war dreizehn, hatte eine Zahnspange statt
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