Paarungszeit: Roman (German Edition)
»Lucien«, anscheinend hieß der Franzose neben mir so, sie fragten ihn, ob er sich schon wieder in Schwierigkeiten gebracht habe, soweit ich ihr Französisch verstand, und er lachte ebenfalls und sagte irgendetwas über eine charmante junge Dame – über mich? Verwirrt sah ich zu, wie sie vor der Ampel verharrten, eine blonde Frau und ein Mann mit ebenfalls hellem Haar und Brille. Sie warteten ein, zwei Sekunden, in denen nichts passierte, dann äußerte die Frau ein vernehmliches »Merde!« und überquerte die Straße mit graziösen Schritten, rot leuchtete noch immer das stehende Männchen, provozierend langsam tänzelte sie, und der Bebrillte schüttelte den Kopf, lachte und stapfte hinter ihr her.
»Pour deux!« Sie hielt dem verdutzten Fredl Weidinger einen Zehneuroschein hin. Fredl glotzte auf den Schein, dann auf die Frau, dann auf mich. Und ich besann mich auf meinen Job: »Für zwei!« Verdattert verstummte ich. Wir hatten gleichzeitig gesprochen, der bebrillte Mann und ich, so genau in einem Rhythmus, als hätten wir es jahrelang geprobt. Er sah mich an, anscheinend ebenso überrascht wie ich, hinter der schwarz umrandeten Brille leuchteten seine Augen, ein helles Türkis, Gletscherseeaugen hatte er, und sein Haarschopf war verwuschelt, als hätte er sich gerade die Haare gerauft oder als wäre ihm jemand durch die Haare gefahren. Er trug ausgeblichene Jeans, vornehm zerfetzt, dazu ein weißes Hemd und Turnschuhe, er war jung, jünger als dieser Lucien und jünger als seine blonde Partnerin. Ich öffnete den Mund, er öffnete den Mund, und wieder redeten wir gleichzeitig: »Sie sprechen Deutsch«, stammelte ich, und er: »Haben Sie Kummer, Mademoiselle?«
Dann streckte er die Hand aus und wischte zart die Träne von meiner Wange, und die Ampel hinter ihm schaltete auf Grün.
14.
J etzt tippte die Brulée schon seit Stunden. Ab und zu rief sie etwas, dann eilte der junge Mann herbei und brachte ihr eine Tasse Kamillentee. Den er mit Thereses Erlaubnis in der Pensionsküche kochte. Der junge Mann hieß Cedric, stammte aus der französischsprachigen Schweiz und war der Deutsch-Übersetzer sämtlicher Werke von Delphine de Brulée. Gleichzeitig ihr Sekretär. Delphine de Brulées Romane wurden in dreißig Sprachen übersetzt, sie konnte sich einen mitreisenden Sekretär leisten.
Und erst recht ein Komfortzimmer für vierzig Euro. In dem sie seit Einbruch der Dunkelheit tippte. Auf einer altmodischen Schreibmaschine. Sie könne nur auf ihrer Olympia schreiben, hatte Cedric Therese erklärt, schon der Anblick eines Laptops verursache eine Schreibblockade. Die Olympia schien das Gegenteil auszulösen. Delphine de Brulée hackte wie besessen, jeder Buchstabe eine kleine Explosion, zwischendurch ging sie ruhelos im Zimmer hin und her wie ein Gefangener in der Arrestzelle. Dabei redete sie vor sich hin, manchmal fluchte sie. Zumindest war anzunehmen, dass es sich um Flüche handelte.
Das Leben einer Erotik-Autorin hatte Therese sich anders vorgestellt. Mehr oh, là, là, weniger Kamillentee. Sie hatte noch einmal in Lustschreie in Hochhausschluchten geblättert. Mit deutlich mehr Achtung. Sicher brauchte es viel Hin-und her-Gelaufe, massenweise zerknüllte Blätter und literweise Kamillentee, bis ein Satz wie dieser herauskam: Sie lag wartend, willenlos, loderte seiner Lanze entgegen. Es war die Szene, in der sich die Chefin in dem Pariser Großraumbüro endlich dem Heizungsmonteur hingab, praktischerweise in einem Glasaufzug, der durch den engen Schacht aufwärtsraste. Allerdings hätte Therese Engler bei einem Heizungsmonteur eher einen Zollstock erwartet als eine Lanze. Oder – mei! – eine Messlatte. Aber das war wohl dichterische Freiheit. Und eine Messlatte hätte vielleicht auch nicht zu der Wucht des nächsten Satzes gepasst, in dem er endlich heranbrauste, ein Orkan der Lust, ihre Küsten verwüstend. Lodern. Lanzen. Lustorkane. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass solche Worte in ihrer Pension getippt wurden!
Eine Tatsache, mit der nicht nur Therese Engler, sondern die gesamte Neuenthaler Bevölkerung schwer fertig wurde. Und halb Mohnau dazu. Eigentlich hatte Therese in der Pension nur noch einmal nach dem Rechten sehen und dann ins Bett gehen wollen, als sie die Flanierenden bemerkte. Man schlenderte durch den zaunlosen Pensionsgarten, wisperte, schlich ums Haus, versuchte, einen Blick durch die Fenster zu werfen. Und wagte sich sogar verstohlen in die Nähe der unverschlossenen
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