Paarungszeit: Roman (German Edition)
entsetzten Blick, um sich dann zu entschuldigen und wegzudrehen. Mit klopfendem Herzen hatte ich verschiedene Threads durchsucht und in Ecken mit der Zahnbürste von Algen befreien fand ich sie. Goldflossy. Nur den Bruchteil einer Sekunde war ich erleichtert, dass sie kein Fisch war. Sondern eine junge Frau. Blond und schmal, mit beneidenswert glatten Haaren und in kurzen Trekking-Hosen Größe 32/32. Es gab mehrere Bilder von ihr. Sie saß lächelnd vor einem Aquarium oder hielt ein Einmachglas hoch oder stand vor einem Tümpel. In einem Nichts von einem Bikini, dazu trug sie Gummistiefel und Handschuhe. Und sah zum Anbeißen aus.
Dieses Bild fand ich nicht im öffentlichen Bereich des Forums, sondern im Ordner der persönlichen Nachrichten von Kampffischfreak82. Wo ich auf einen regen Austausch persönlicher Nachrichten zwischen Goldflossy und Kampffischfreak stieß. Zunächst über die speziellen Probleme bei der Zucht von Lebendfutter in Einmachgläsern. Anscheinend begeisterte sich Goldflossy ebenso wie er für Fruchtfliegen und Asseln. Aber es blieb nicht bei Asseln.
»Deine letzte sms hat mich ziehmlich durcheinandergebracht« , schrieb Goldflossy. » Stell dir vor, meine Zackenbarsche haben es auch gespührt, sie waren so unruhig wie ich. « Was Rechtschreibung und Grammatik betraf, war sie beinahe auf dem Niveau von quietschentchen aus dem Hochzeitsforum. Ein Gedanke, der mich nur kurz tröstete, angesichts der siedend heiß in mir aufsteigenden Vermutung, dass Timo und sie einander längst heiße ihajeflo-Kürzel-SMS schickten, während ich heimlich meinen erotischen Kalender bastelte und romantische Geschichten schrieb.
Was sollte ich tun? Was konnten wir gemeinsam tun, Timo und ich? Wie betäubt hatte ich vor dem Bildschirm gesessen, überlegt, ob ich ihn anrufen, aus dem Unterricht holen lassen oder lieber wie eine Furie in die Schule stürzen, in seine Klasse stürmen und rufen sollte: »Ich will jetzt wissen, was mit Goldflossy ist!«
In diesem Moment hatte mein Handy geklingelt. Özcan Breithuber. Mit schnurrender Samtstimme: Er habe gehört, ich wolle ihn sprechen? Er sei jetzt da. Daraufhin hatte ich meine Kataloge gepackt und war losgerannt, panisch und verzweifelt, Hauptsache weg vom Fischforum, weg von Goldflossy. Und jetzt saß ich hier, die orientalische Lampe flackerte, und eine Wolke Zwiebelgeruch von der Döneria her mischte sich in den geheimnisvollen Moschusduft der Schneiderei.
»Guuut.« Özcan atmete seufzend aus. »Ich sehe es.«
»Das … das Kleid?«
»Alles. Und alles wird gut.«
»Gut? Meinst du wirklich? Und was ist mit Goldflo… äh … wann kann ich das Kleid abholen?«
»Wenn die Zeit gekommen ist.«
»Und was … ich meine … was kostet es?«
»Du wirst bezahlen. Für alles. Aber am Ende wirst du belohnt werden.«
Er erhob sich, hielt mir mit einer kleinen Verbeugung die Tür zur Dönerstube auf, und der entstehende Windstoß zerstörte etwas, das aussah wie eine Schmeißfliegen-Loveparade an der Scheibe der Verkaufstheke, hinter der Paprikastücke, Tomaten und Gurken in Schüsseln lagerten und wirkten, als hätten sie gern von besseren Zeiten erzählt. Özcan entließ mich mit einer weiteren Verbeugung, und benommen trat ich hinaus auf die sonnenglänzende Straße.
Vor der Tür der Feuerwehrkneipe stand ein Mann. Reglos. Er hatte den Kopf schief gelegt und schien zu lauschen, mit einem Gesichtsausdruck, als vernähme er Engelsgesänge und nicht die wöchentliche Probe der Feuerwehrkapelle. In einer Hand hielt er einen Block, in der anderen einen Stift, mit dem er den Takt klopfte.
»Qui est-ce?« Er hörte auf zu klopfen, als ich näher kam, sah mich fragend an und zeigte auf die Tür. Anscheinend ein französischer Tourist. Ausgerechnet! Mir war nicht nach Arbeit. Überhaupt nicht. Ich wollte in mein Bett, mir die Decke über den Kopf ziehen. Aber ich nahm mich zusammen und lächelte höflich.
»C’est la Feuerwehrkapelle de Neuenthal!« Oder musste es vielleicht le Feuerwehrkapelle heißen, weil die Feuerwehrkapelle trotz des deutschen weiblichen Artikels aus Männern bestand? In diesem Falle wäre sogar das Wort Mannsbilder angebracht gewesen. Aber wie sollte ich diese deutschen Mannsbilder in einen französischen Artikel pressen, und konnte man von Neuenthal wirklich als de Neuenthal übersetzen? Aber er schien mich zu verstehen, er nickte eifrig und lächelte.
»Ah, je comprends! Le Feuerwérchapellö! Très impressionant! Ils peuvent le
Weitere Kostenlose Bücher