Paarungszeit: Roman (German Edition)
Posten vorübergehend an eine jüngere, schlankere Frau aus Mohnau abgeben müssen und lauerte jetzt auf ihr Comeback. Kunstvoll ausstaffiert von Özcan Breithuber, der ihre Rundungen, ihre Liebe zu Bayern und zum Bier prachtvoll zu präsentieren verstand. Heute trug sie ein glitzerndes, weites Oberteil, dazu Leggings in weißblauem Rautenmuster, wobei die Rauten nicht überall als Rauten zu erkennen waren. Sie folgte meinem Blick und streckte mir ihr beachtliches Bein hin, das in einen biergelben Stiefel mündete.
»Schick, ha? Hat ois der Özcan gemacht. Hot Kotür, wia in Paris, gä!« Sie nahm meinen Ellbogen und führte mich durch die leere Döneria in die Schneiderwerkstatt.
Özcan Breithuber saß am Tisch. Er hatte den Frühlingstag ausgesperrt, die Rollläden heruntergezogen. Nur eine Art Lampion, der von der Decke hing, verbreitete einen schwankenden, rötlichen Schimmer, und in der Ecke flackerte eine Kerze unter einer orientalischen Duftlampe. Es roch leicht nach Räucherstäbchen. Und nach Dönergrill.
»Also, ich lass euch jetzt allein!« Franzi verschwand, und ich breitete meine Kataloge aus. Aber Özcan Breithuber würdigte sie keines Blickes. Er bedeutete mir mit einer stummen Geste, mich ihm gegenüber niederzulassen, und sah mich an. Lange und ohne ein Wort zu sagen. Ich kannte diesen Blick schon von meinen bisherigen Dönerkäufen, nur schien er im helleren Licht der Döneria nicht ganz so funkelnd, so orientalisch-intensiv zu sein.
Özcan Breithuber war bekannt dafür, dass er äußerste Sorgfalt darauf verwendete, genau jenen Döner maßzuschneidern, der zum jeweiligen Kunden passte. Gegrillte Paprika zum Fleisch oder rohe? Der Brotfladen nur leicht angebacken oder kross? Tomate oder Gurke oder beides? Wenn ja, warum? Die Zwiebel- und Knoblauchfrage war noch heikler, und die eine oder andere Fliege an der Scheibe durchlebte ihre Pubertät, große Liebe und die Wechseljahre, bis man endlich das Dönerkunstwerk in der Hand hielt. Vielleicht war dies der Grund, warum Özcan Breithubers Dönergeschäfte trotz zusätzlicher Haxn-Hotline nicht allzu gut liefen.
Heute trug Özcan nicht seine verschmierte Schürze, sondern weite weiße Leinenhosen und ein dazu passendes Hemd, all das Weiß machte seinen Blick noch dunkler, noch unergründlicher.
»Hier sind meine Maße.« Ich schob den Zettel über den Tisch. »90, 62, 81.«
Würde er nachmessen wollen? Sollte ich schnell hinterherschicken, dass die Zahlen meiner wirklichen Maße einige unbedeutende Zentimeterchen höher waren? Aber bis Özcan das Kleid geschneidert hätte, wäre ich sicher bei einer Zweiundsechziger-Taille. Aller Appetit war mir vergangen. Wie es sich anfühlte für immer. Was machte ich überhaupt hier? Nach allem, was ich heute Morgen erfahren hatte? Mir stiegen die Tränen in die Augen, und Özcan schob den Zettel beiseite, ohne mich aus seinem Blick zu entlassen.
»Timo, also mein Freund, er will … ein Modell Sissi«, stammelte ich in unser von dem orientalischen Lampion beschienenes Schweigen hinein.
»Ich weiß«, sagte Özcan. Noch nie war mir aufgefallen, wie samtig seine Stimme klingen konnte. Vielleicht war doch etwas Wahres an dem, was man über ihn erzählte: Özcan Breithuber, so raunte man im gesamten Landkreis, könne den Frauen bis auf den Grund ihrer Seele blicken, wenn er in der richtigen Stimmung sei, und schneidere ihnen dann genau das Kleid, das ihr Innerstes spiegele. Anscheinend war Özcan gerade in der richtigen Stimmung. Sein Blick, eben noch funkelnd, verschleierte sich, während ich etwas von einer Mischung aus Sissi und Meerjungfrau faselte, ob dies nicht möglich sei, und ich hätte hier Schnittmuster für beide Modelle. Ich schob sie zu ihm hinüber, und er warf einen flüchtigen Blick auf die Blätter, sah dann wieder mich an. Dabei atmete er tief ein, als wollte er meine Seele in sich hineinsaugen, und im nächsten Moment zog es mich in einen Strudel des Vergessens.
Mein Ich schien zu zerbersten und in alle Richtungen zu fliegen. Dann kehrte mein Bewusstsein wieder. Zuerst mit einem Bild. Einem schmerzlichen Bild. Ein Computermonitor. Mit der Startseite des Zierfischforums. In das ich mich heute Morgen eingeloggt hatte als Kampffischfreak82. Vor langer Zeit schon hatte mir Timo seinen Nickname und sein Passwort verraten. Ich hatte nie geglaubt, dass ich es einmal benutzen würde, um ihn auszuspionieren. Aber mir blieb keine Wahl. Nachdem er mich in der Nacht so angesehen hatte, mit diesem
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