Paarungszeit: Roman (German Edition)
Hintertür! Was sollte sie tun? Sollte sie ihre Gäste über Nacht einschließen und allein lassen? Oder selbst in der Pension übernachten und Wache halten?
Unschlüssig setzte Therese sich an den Schreibtisch der Kaisersuite, lauschte Delphines Getippe auf der Olympia, Cedrics besänftigendem Gemurmel und Luciens Musik. Lucien, auch das wusste sie von Cedric, war Delphines Bruder. Sie standen einander sehr nahe. Obwohl sie sich nicht besonders ähnlich sahen. Zumindest was die Haarfarbe betraf. Aber vermutlich war Delphines Haar ja nicht naturblond. Was Delphine wohl davon hielt, dass er gern Frauenkleider trug? Erlaubte sie ihm gar, in ihren Röckchen herumzulaufen? Saß er vielleicht auch jetzt im Kleid auf dem Sessel des Komfortzimmers? Oder zog man sich als Transvestit nur bei öffentlichen Auftritten um? Und wie war er überhaupt auf die Bühne der Münchner Fetisch-Bar gekommen, und warum hatte er sie später in den Hauseingang gedrängt, noch dazu halb nackert? Sollte sie ihn einmal fragen und Cedric übersetzen lassen? Oder wäre dies unhöflich? Schließlich sollte er am Pfingstmarkt auftreten, sie wollte es sich nicht mit ihm verderben. Die Franzosen würden noch eine Weile bleiben, hatte Matt heute am Telefon gesagt, sie solle warten, er werde alles regeln, er denke an sie. Sie hatte sich nur kühl verabschiedet und aufgelegt.
Aus Luciens Zimmer drang eine neue Melodie, süß und melancholisch. Ob er sehr unter der Unsensibilität seiner Mitmenschen litt? Oh, wie gut sie das kannte! Sie schaltete den Laptop ein, öffnete den Browser. War es nicht ihre Pflicht, als Pensionswirtin und angehende Bürgermeisterin, sich über Menschen wie Lucien zu informieren? Flugs tippte sie das Stichwort Transvestit in die Browserzeile. Die nächste Dreiviertelstunde las sie konzentriert. Und lernte, dass ein Transvestit nicht etwa nur ein Mann war, der Frauenkleider trug, sondern dass unter dem Begriff Transvestit alle Menschen versammelt waren, die sich in der Kleidung des anderen Geschlechts wohler fühlten.
Jesses! Wie ihr eigener Puls auf einmal in den Ohren dröhnte, lauter als das Schreibmaschinengehämmer der Brulée. Ihre Hüte! An denen sie so hing. War man schon ein Transvestit, wenn man einen Cowboyhut … Schmarrn! Sie trug immer noch ein Dirndl. Dazu eine unbequeme, aber äußerst weibliche Feinstrumpfhose. Ein Kleidungsstück, das, wie sie jetzt las, von männlichen Transvestiten besonders bevorzugt wurde. Sie klickte ein Bild an, auf dem ein Mann in Damenstrümpfen und T-Shirt gemütlich auf einem Sessel saß und Kaffee trank. Unterschrift: So entspanne ich mich zu Hause. Anscheinend war eine Feinstrumpfhose die leichte Transvestitenkleidung für dahoam. Und, warum auch nicht? Andere Männer trugen Jogginghosen. Was auch nicht besser aussah, im Gegenteil. Sie klickte auf das nächste, etwas gewöhnungsbedürftigere Bild. Ein Mann in Damenstrümpfen mit Strapsen, auf Stöckelschuhen. Es war deutlich zu sehen, dass er Damenunterwäsche trug, und noch deutlicher erkannte man …
Jessesmaria! Es klopfte! Nicht an der Tür. Sie fuhr erschrocken auf. Mit einem Schrei, für den sie sich schon schämte, während sie ihn noch ausstieß, drehte sie sich zum Balkon. Poch! Poch! Poch! Sie sprang auf, riss die Gardine weg.
»Mach auf, Therese!«
»Kreizkruzifix! Fredl!«
»Wo is die Badwanna mit die Löwenfiaß?«
»Ich werd dir doch ned meine Badewanne zeigen, Fredl, spinnst jetzt?«
»I mecht di nur retten!«
»Retten? Du? Mich? Vor wem denn?« Sie spähte über seine Schulter. Am Haus lehnte eine Leiter. Sacklzement! Der Einzige, der eine so lange Leiter besaß, war Anderl von der Feuerwehrkneipe.
»Vor dir selber, Therese! Kriagst Geld dafür, ha? Viel Geld?«
»Bist jetzt vollkommen narrisch?« Sein wilder Blick! Sie riss sich zusammen, bemühte sich um kühles, amtliches Hochdeutsch. »Natürlich kriege ich Geld, wenn ich Zimmer vermiete.«
»Ned für die Zimmer! Für den Film! Therese, i kann des ned zulassen!«
»Jetzt reicht es aber! Meinst du, du bist der Einzige, der einen Film …«
»Therese! I ertrags ned, dass di so wegwirfst!«
Er hämmerte gegen die Scheibe. Sollte sie ihn fragen, ob er eine anständige Haftpflichtversicherung hatte? Das Akkordeonspiel im Nebenzimmer brach ab. Jetzt wurden schon ihre Gäste aufmerksam! Sie musste etwas tun. Aber was? Der Notruf schien ihr übertrieben, vielleicht sollte sie Fredls Vorgesetzten in der Kreisstadt anrufen? Das Telefon schon in der Hand,
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