Paarungszeit: Roman (German Edition)
Ende, nach einigen Übungen, erschütterte ein gemeinschaftliches, donnerndes bayerisch-französisch-sächsisches »Oans, zwoa, gsuffa!« die Einkaufsmeile und ließ Fredl Weidinger mitten im schneidigen Heranschreiten erstarren. In diesem Moment, ein wenig beschwipst, ein wenig amüsiert über die Franzosen und ein ganz klein wenig gerührt, wovon, wusste sie nicht genau, wagte Therese wieder zu glauben, dass doch nicht alles verloren war. Sie nahm einen weiteren Schluck. Und tastete nach dem klingelnden Handy in ihrer Tasche. Etwa Matt? Wollte er wieder sagen, dass er an sie denke? Obwohl er seit zehn Jahren …
»Mei! Susn! Ist was passiert?« Wie klang ihre Tochter denn? Kläglich wie damals, als sie Therese von der Schule aus angerufen und ihr gestanden hatte, sie müsse nachsitzen. Worauf Therese Engler sofort in die Kreisstadt zum Gymnasium gefahren war, um Susn abzuholen und nebenbei mit der Lehrerin ein Wörtchen über ihre Unterrichtsmethoden zu reden. Das gleiche mütterliche Schutzbedürfnis wie damals, jetzt noch maibockverstärkt, wallte in ihr auf, während sie ihrer Tochter zuhörte, die mit dünner Stimme versicherte, nein, nein, alles sei gut, nur die Schwiegereltern seien schon heute angekommen, einen Tag zu früh. Ob sie nicht zum Kaffeetrinken kommen wolle, zu ihnen nach Hause, jetzt? Aber was war denn daran so schlimm?
»Freili, Susn, ich komm gleich.«
Sie stellte ihr Glas auf den Tisch, überließ Franzi, die Sachsen und die Franzosen dem herannahenden Fredl Weidinger und ging in ihre Wohnung, um sich umzuziehen.
Eine halbe Stunde später wusste sie, warum Susn so nach Katastrophe klang. Susns künftige Schwiegermutter hatte mehr Haare auf den Zähnen als auf dem Kopf. Okay, das war eine Übertreibung, vielleicht von Franzis Maibock inspiriert. Natürlich hatte Frau Flantsch Thereses Bier-Pfefferminz-Fahne sofort erschnuppert. Frau Flantsch sah aus, als käme niemals etwas anderes als Fencheltee über ihre verkniffenen Lippen. Unter ihrem missbilligenden Blick fing Therese Engler, künftige Bürgermeisterin von Neuenthal, tatsächlich an zu stammeln: »I hob … entschuldigen Sie, ich hab schon ein Bier trinken müssen. Mit meinen Gästen. Nach diesem Schmarrn … dieser Demonstration.«
»Ja, die haben wir mitbekommen. Eine gute Sache. Sehr lobenswert. Von der Kirche organisiert?«
»Stellt euch vor, ich habe heute ein gaaanz süßes Sissikleid probiert! Spatzl, hab ich dir das eigentlich schon erzählt?«
Mei, das Madl war wirklich überdreht. Sogar ihr Spatzl schaute sie fassungslos an. Therese wandte sich wieder an die Flantsch: »I wo, der Pfarrer, der redet nur, der tut nichts, genau wie unser Bürgermeister. Der Fredl Weidinger wars, mein Gegner im Wahlkampf …« Kruzifix, es war gar nicht so einfach, den Flantschs den wahren Sachverhalt beizubringen und dabei noch einen guten Eindruck zu machen. »Aufgrund falscher Informationen hat der Herr Weidinger angenommen …«
»… uuund habt ihr schon gesehen, wie toll Timo dieses Aquarium für die Kampffische hergerichtet hat? Zeig doch mal, Spatzl, diese neue Algenart, die du gepflanzt hast!« Schon dirigierte Susn sie alle vor ein Aquarium, und eine Zeitlang begutachtete sie folgsam graugrüne Algen und drei Fische mit schleierartigen Flossen, die um einen umgestülpten Blumentopf herumschwammen. Während die Flantschs ihrerseits sie begutachteten. Er mit kleinen Abschweifungen in Thereses Ausschnitt, sie mit ihrem Fenchelteeblick. Um Susns willen musste sie ein unverfänglicheres Thema finden, hatte Susn nicht erzählt, sie …
»… interessieren sich für Literatur, nicht wahr?«
Tatsächlich glomm in Frau Flantschs Fenchelteeblick ein Funken von Interesse.
»Ja, ich bin in einem Literaturkreis. Sie auch?«
»Äh … Nicht direkt.«
Frau Flantsch verzog die dünnen Lippen zu einem Lächeln. Einem ziemlich herablassenden Lächeln. Einem In-diesem-Dorf-habt-ihr-garantiert-keinen-Literaturkreis-Lächeln. Zu früh. Jetzt zog Therese Engler ihre Trumpfkarte!
»Ich hab gerade a Literatin als Gast, sie schreibt die ganze Nacht. Auf einer echten Schreibmaschine, einer Olympia, wie der Hemingway.«
»Tatsächlich? Wer ist es denn, jemand Bekanntes?« Frau Flantsch wandte sich endgültig vom Aquarium ab. Vor dem der junge Flantsch seinem Vater gerade den Mechanismus irgendeiner Pumpe erklärte. Susn schaute sie an. Was flackerte da in ihrem Blick?
»A französische Literatin«, sagte Therese. »In dreißig Sprachen übersetzt.«
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