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Paarungszeit: Roman (German Edition)

Paarungszeit: Roman (German Edition)

Titel: Paarungszeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brendler
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Schleier wie von einer Ganzkörper-Hundeburka, rutschte blind durch den Laden, riss mit lockeren Schwanzschlägen Proseccogläser von Tischchen. Gina tippte wild auf ihrem iPhone herum, schickte sie Quirin etwa eine SMS? brklgplzt, flfrvk – Brautkleid geplatzt, Floh frisst Verkäuferin?
    Dann rauschende Musik. Erstaunlich laut für ein so kleines Telefon.
    »Braav. Leeckerli.«
    Und die Hundeburka-Bestie hielt inne, spitzte die Ohren.
    Ein Kameramann hätte vermutlich einmal über den gesamten schockstarren Laden geschwenkt, umgefallene Gläser eingefangen, Proseccopfützen, besudelte Brautkleider, halb ohnmächtige Bräute, fassungslose Verkäuferinnen, einen verschleierten Hund, der sich betreten an die Hüfte seines Frauchens schmiegte. Dann wäre ein langsamer Zoom an der Reihe gewesen, hin zur Quelle allen Unheils: Susn aus Neuenthal am Brachsee, immer noch auf ihrem Hocker, immer noch in Stilettos, aber ohne Sissi. Dafür in senfgelber Frotteeunterwäsche, bedruckt mit sich fröhlich tummelnden, um den Po herum bestimmt ziemlich verzerrten Snoopys, die auf dem verwaschenen Bustier sogar seilsprangen.
    Warum geriet ich unweigerlich immer wieder in Situationen, in denen mich alle fassungslos anstarrten?
    Das erste Mal war es im zarten Alter von sechs Jahren passiert, kurz nach dem ersten Besuch von Matthias Glatthaler. Beim Schneeflockentanz. Auf dem Mohnauer Weihnachtsmarkt. Alle Mütter hatten sich größte Mühe gegeben, ihre kleinen Schneeflocken mit Rüschenkleidchen, Haarreifen und Zopfschleifen in reinstem Weiß auszustatten, nur ich stach aus dem hervor, was wie eine gigantische Bleichmittelwerbung aussah. Therese hatte mich in ein Kinderdirndl aus ihrem Trachtenladen gesteckt. Ich wusste, dass so keine Schneeflocke aussah, mein zickiges gerüschtes Gegenüber hätte es mir nicht noch sagen müssen, viel zu laut, über den Schneewalzer hinweg, zu dem wir uns drehten. Die Zuschauer lachten verhalten, zeigten einander die rosageblümte Dirndlflocke, und die Petze in ihrem Rüschenkleid grinste zahnlos und streckte mir bei der nächsten Drehung die Zunge heraus. Ich nutzte das folgende Pas de deux, um meine Schneeflockenehre zu verteidigen und sie dafür zu watschen, so graziös wie möglich, integriert in unseren sorgfältig einstudierten Tanz. Worauf sie plärrend mitten auf der Bühne stehen blieb. Unsere Hinterflocken trippelten in uns hinein, und der Rest war Schneegestöber: Auch andere Flocken entdeckten das Watschen, auf der Bühne prügelten sich weißberüschte Mädchen, bis die Tanzlehrerin entnervt den Walzer abstellte und die Petze mir den letzten, entscheidenden Schubs versetzte. Ich taumelte über den Bühnenrand und landete in einer Pfütze.
    »Die Susn war’s! Die Susn hat angefangen!«, brüllte die Petze, und alle – Mütter und Väter meiner Klassenkameradinnen, unsere Lehrer, der Bürgermeister, der Pfarrer und die Touristen – starrten mich an: die einstmals geblümte, jetzt verdreckte, gewalttätige Monsterschneeflocke.
    Ich wollte nicht mehr daran denken. Auch nicht an die ramponierte Sissi, die in einer Plastiktüte zu meinen Füßen lag, Prosecco und Verkäuferinnen-Angstschweiß ausdünstend. Dank Ginas Verhandlungsgeschick hatten wir trotz allem die versprochenen zwanzig Prozent Rabatt bekommen. Für alles andere, das Floh angerichtet hatte, würde Quirins Versicherung einspringen müssen.
    »Susn, Kopf hoch, das ist alles halb so wild. Es gibt noch andere Brautmodenläden, in anderen Städten.« Gina schoss aus der Ausfahrt auf die Landstraße, und wir fuhren vorbei an Maibäumen, fliederbewachsenen Mauern, der geschlossenen Nail-Art-Metzgerei von Toni, auf den Neuenthaler Kirchturm zu.
    »Was um Himmels willen ist das, eine Prozession?«
    Gina trat so fest auf die Bremse, dass der Wagen schlingerte und Floh ein vorwurfsvolles Jaulen ausstieß.
    Der Zug wälzte sich vom Ortseingang her über die Dorfstraße, flankiert von schaulustigen Urlaubern. Ich erkannte die Franzosen, Delphine de Brulée stand zwischen den beiden Männern – der Jüngere, Cedric, der Mann mit der Brille und dem verwirbelten Haar, sah sich nach uns um und winkte. Mir fehlte die Kraft, um zurückzuwinken. Am liebsten hätte ich die Augen geschlossen, wie in gnädigen Vor-Schneeflocken-Zeiten, als ich geglaubt hatte, mich auf diese Weise unsichtbar machen zu können.
    Ich hatte längst noch nicht verkraftet, dass Delphine de Brulée, deren Bücher ich bewunderte, anscheinend die Geliebte meines Vaters

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